Mit Herz und Skalpell
L inda war froh, dass sie sich auf dem Gelände durch das Studium einigermaßen auskannte, sonst hätte sie das richtige Gebäude in dieser Betonwüste niemals gefunden. Sie steuerte vom Parkhaus direkt auf den Haupteingang zu. In dreißig Minuten würde sie wissen, ob dieses Krankenhaus für die nächsten Jahre ihr neuer Lebensmittelpunkt sein würde – ob an dieser Stelle ihre Zukunft begann.
Nach ihrem Medizinstudium hatte sich Linda eine kleine Auszeit von zwei Monaten genommen, aber nun wurde es langsam Zeit, Geld zu verdienen. Ihr Vater, der große Neurochirurg, hätte sie sofort in seiner eigenen Klinik eingestellt. Lindas vehemente Gegenwehr hatte er nicht verstanden. Oder nicht verstehen wollen.
Aber Linda wollte auf eigenen Beinen stehen, sich etwas Eigenes aufbauen. Dieses Bewerbungsgespräch war der erste Schritt dazu.
Sie betrat das Universitätsklinikum Köln mit einer Mischung aus Aufregung und Vorfreude. Jetzt oder nie.
Professor Rosenbusch lehnte sich in seinem Sessel zurück und lächelte Linda zu. »Ich würde mich freuen, Sie Anfang März bei uns begrüßen zu dürfen. Sie wären eine große Verstärkung für unser Team.«
Das Gespräch war gut gelaufen, sehr gut sogar. Insbesondere, wenn man bedachte, dass es Lindas allererstes Bewerbungsgespräch gewesen war – und ihre Traumstelle. Zu gut, um wahr zu sein? Sie zögerte.
»Was halten Sie davon«, fuhr Professor Rosenbusch fort, »wenn Sie noch einmal unsere Klinik besichtigen und sich ein Bild von den Stationen, den Operationssälen und den Kollegen machen? Ich denke, das wird Sie endgültig überzeugen.«
Linda nickte. »Gern.« Das wäre eine gute Möglichkeit, herauszufinden, ob nicht vielleicht doch irgendwo eine Falle lauerte oder eine Warnlampe aufleuchtete.
Professor Rosenbusch nahm sein Telefon und wählte. »Rosenbusch. Hallo«, meldete er sich. »Kommen Sie bitte in mein Büro, damit Sie einer Bewerberin die Klinik zeigen können.« Ohne eine Antwort abzuwarten, legte er auf. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er der Chef war. Der Mann mit Macht. Dieses Verhalten hatte Linda schon während des Studiums kennengelernt, als er einige Vorlesungen in ihrem Semester gehalten hatte.
»Unsere Oberärztin wird Sie gleich herumführen«, sagte Professor Rosenbusch, nun wieder an Linda gewandt. Damit stand er auf und ging auf seine Bürotür zu. Linda folgte ihm.
»Sie können hier draußen warten.« Er deutete auf eine Sitzgruppe vor seinem Zimmer. »Sie wird jeden Moment hier sein. Und anschließend kommen Sie noch einmal zu mir.«
»Danke.« Linda strich ihre Bluse glatt, bevor sie sich setzte. Auch wenn ihre Kommilitonen ihr gesagt hatten, dass es im Moment keine Schwierigkeiten gab, eine Stelle zu finden, war sie doch überrascht, dass es so glatt lief. Zumal Professor Rosenbusch dafür bekannt war, dass Frauen es schwer hatten bei ihm, mehr leisten mussten als die männlichen Kollegen, um die gleiche Anerkennung zu erhalten. Die eine oder andere Doktorandin, die Linda kannte, hatte irgendwann frustriert ihre Promotion abgebrochen, weil er ständig mehr gefordert hatte. Er war ein Chirurg der alten Schule. Wie Lindas Vater. Konservativ, altmodisch, Verfechter eines längst überholten Rollenverständnisses – und völlig ungerührt von dem Umstand, dass das in Zeiten, in denen mehr Frauen als Männer Medizin studierten, nicht mehr aufrecht zu halten war.
Sie lehnte sich zurück und atmete tief durch. Vielleicht war genau das die Warnlampe – der entscheidende Faktor, der die Traumstelle zur Albtraumstelle machen würde. Wollte sie sich das wirklich antun?
»Sie sind die Bewerberin?«
Linda sah auf. Eine hochgewachsene, dunkelhaarige Frau in weißem Kittel stand vor ihr. Linda erkannte sie sofort. So eine Frau vergaß man nicht.
»Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?«, fragte die Oberärztin und kreuzte die Arme vor der Brust.
Das Blut schoss Linda ins Gesicht. Sie konnte dem Gesichtsausdruck ihres Gegenübers nicht entnehmen, ob diese sich amüsierte oder ärgerte. »Entschuldigen Sie. Ich . . .«, stammelte Linda. »Ja, ich bin die Bewerberin.« Sie stand auf, doch sie musste den Kopf trotzdem recken, um der deutlich größeren Oberärztin in die dunkelbraunen Augen sehen zu können. Sie zwang sich zur Beherrschung und streckte die Hand aus. »Linda Willer«, stellte sie sich vor.
»Alexandra Kirchhoff.« Die Oberärztin drückte Lindas Hand fest. Ihre Gesichtszüge blieben regungslos.
»Ich weiß«,
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