Nachtflug
fesseln sie sich nicht an eine technische Materie, sondern wachsen mit ihren Nerven, ihrem Bewußtsein bis in die letzten Spanten der Tragflächen hinein: sie schnallen sich Flügel um. Heute sitzt der Pilot hinter der Tastatur seiner Computer und seiner transistorisierten Elektronik wie ein Büroangestellter, der eine Schreib- oder Rechenmaschine bedient. Das Steuer, mit dem man früher handgreiflich die schwankende Maschine durch die tobenden Naturgewalten lenkte, wird kaum noch berührt.
Aus dieser veränderten attitude hat eine durch keine Fachkenntnis getrübte Publizistik den Trugschluß gezogen, der moderne Pilot habe dank der Automatisierung kaum noch wesentliche fliegerische Aufgaben an Bord, - auf keinen Fall im Kampf mit den Elementen. In Wirklichkeit sind die Gewalten und Energien der Tropengewitter in den heutigen Reiseflughöhen weitaus zerstörerischer, als es die simplen Wasserhosen und Hagelschauer waren, denen Mermoz, Guillaumet und Saint-Exupery selber begegneten. Ja, während das Durchfliegen eines Tropengewitters in der Flughöhe der modernen Jumbos absolut tödlich ist, wurde den Piloten des ›Südkurier‹ und des ›Nachtflug‹ wenigstens noch die Chance des Bestehens und Überlebens gelassen. Der moderne Pilot verwendet daher seine ganze berufliche Fähigkeit nicht auf den Kampf, sondern auf das Vermeiden des Kampfes. Er kann sich den Luxus eines Risikos nicht leisten. Schon deshalb nicht, weil er nicht nur einige Postsäcke hinter sich liegen weiß, sondern unter Umständen fast vierhundert Menschen befördert. So kämpft er nicht unmittelbar mit dem Gegner, sondern zum Beispiel mit den technischen Tücken eines Wetterradars, das ihm zwar das Umfliegen einer tropischen Gewitterfront über dem Golf von Bengalen ermöglichen soll, aber in seinen Aussagen mehr als zweideutig ist. Das wesentliche Merkmal im Alltag der ›Nachtflug‹-Flieger war die Unmittelbarkeit: plötzlich ist der Wirbelsturm, die Finsternis, das Gewitter da, plötzlich setzt der Motor aus, plötzlich erweist sich die Landebahn als zu kurz. Das wesentliche Merkmal des Jetfliegers ist die Vorausplanung, das pausenlose präliminäre Jonglieren mit Wettervoraussagen, Luftstraßenbeschränkungen, Flugsicherungsbestimmungen. Kurz, das Vermeiden jener Konfliktsituation, in der die Exuperyschen Helden bestehen oder untergehen. Dieser Kampf spielt sich auf geistige Art ab, ist äußerlich weniger spektakulär als ein gefilmter Motorbrand in Eastmancolor, aber letzten Endes nicht weniger aufreibend und den ganzen Mann erfordernd. Und da sind die romantisierenden, die lyrischen Stellen im Werk Saint-Exuperys. Die Abendstimmungen, die sterndurchfunkelten Nächte im einsamen Cockpit. Die leuchtenden Wüsten, die meditativen Stunden nach langem Flug in einer fremden, am Rande der Zivilisation gelegenen Stadt, Punta Arenas zum Beispiel …
Ich erinnere mich der frühen Morgenstunden in Karatschi, wenn man nach mühsamen Monsunflügen durch die indische Nacht ins Hotelbett sinkt. Draußen glühen die weißen Hauskuben in einem unwirklichen Licht auf, lange, bevor die Sonne über der nahen Wüste erscheint. Wie von innen heraus phosphorisiert alles: Minarett, Moscheekuppel, Hinterhof, während das erste akustische Signal eines angeworfenen Motors die Stille zerstört. Ich glaube nicht, daß die Wolkenstimmungen, die purpurnen Farbspiele aus der Stratosphäre, das Nordlicht über Grönland, die Gewitteratmosphäre beim Durchflug der Intertropischen Front über Panama heute weniger intensiv wirken als damals. Im Gegenteil: die Ausdehnung der Reiseflughöhen bis in die Stratosphäre hat neue ungeahnte Möglichkeiten der Wahrnehmung geschaffen, die ihre Krönung in den Astronauten-Fotos unseres blauen Planeten fanden.
Aber im Gegensatz zu der Unmittelbarkeit der ›Nachtflug‹-Epoche gehört heute eine starke innere Aktivität dazu, aus dem Flugzeug heraus mit Naturphänomenen in Verbindung zu kommen. Die winzigen Fenster, die zahllosen fensterlosen Sitzplätze, die Tendenz, aus dem Flugzeug ein fliegendes Steakhaus oder einen Kinosaal zu machen, hindern den Individualisten daran, eine Beziehung zur überflogenen Gletscherlandschaft Grönlands oder der Grafik eines Flußdeltas zu gewinnen. Banalität und Vermassungstrend schieben sich heute wie ein Filter vor den unmittelbaren Sinneseindruck.
Als wir zum ersten Mal mit dem Werk Saint-Exuperys in Berührung kamen, war für die meisten meiner Generation der Krieg bereits vorbei. Eines der
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