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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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des Netzes, das man einzieht, langsam einzieht und von dem man nicht weiß, was es enthalten wird.
    Riviere in seinem Arbeitszimmer empfindet die Entspannung, die nur die großen Unglücksfälle mit sich bringen, wenn das Unvermeidliche den Menschen von der Verantwortung befreit. Er hat die Polizei einer ganzen Provinz alarmiert. Mehr kann er nicht tun, man muß abwarten.
    Aber Ordnung muß auch noch im Totenhause herrschen. Riviere gibt Robineau ein Zeichen: »Telegramm an die Nordstationen: Sehen bedeutende Verspätung des Patagonienkuriers voraus. Um Europakurier nicht zu sehr zu verspäten, werden wir Patagonienkurier an nächsten Europakurier anschließen.«
    Er beugt sich ein wenig über den Tisch, aber gibt sich einen Ruck und sucht sich an etwas zu erinnern, das wichtig war. Ach, ja! Das darf nicht vergessen werden: 
    »Robineau.« 
    »Herr Riviere?«
    »Sie werden mir eine Verordnung aufsetzen. Verbot an die Piloten, neunzehnhundert Touren zu überschreiten: man ruiniert mir die Motoren.« 
    »Gut, Herr Riviere.«
    Er beugt sich noch etwas tiefer über den Tisch. Er braucht jetzt vor allem Alleinsein: 
    »Gehen Sie, Robineau. Gehen Sie, mein Lieber .«
    Und Robineau geht, bestürzt über diese vertrauliche Anrede, diese ungewohnte Gleichstellung angesichts der Schatten des Todes.
XXI
    Robineau irrte melancholisch in den Büros umher. Das Leben des ganzen Betriebs war ins Stocken geraten in der Erwartung, daß der Start des Europakuriers, der auf zwei Uhr festgesetzt war, auf Tagesanbruch verschoben werden würde.
    Die Angestellten saßen mit verschlossenen Gesichtern noch immer in Bereitschaft, die keinen Zweck mehr hatte. Noch immer liefen in regelmäßigen Abständen die Streckenmeldungen der Nordstationen ein, aber ihr ewiges »Klar« und »Vollmond« und »Windstille« rief nachgerade die Vorstellung von einer recht sterilen Herrlichkeit wach. Einer Mond- und Steinwüste. Während Robineau, ohne im übrigen zu wissen, warum, in einem Aktenstück blätterte, das der Bürovorsteher gerade bearbeitete, bemerkte er plötzlich, daß der Mann vor ihm stand und in der Haltung höflicher Unverfrorenheit darauf wartete, daß er es ihm zurückgäbe. Mit einer Miene, als hätte er sagen wollen: ›Wenn Sie gefälligst soweit sein werden, nicht wahr? Das gehört mir …‹ Diese Haltung eines Untergebenen empörte ihn, aber er fand keine Erwiderung und reichte ihm irritiert das Heft hin. Der Bürovorsteher kehrte mit edler Würde an seinen Platz zurück. ›Ich hätte ihn zum Teufel schicken sollen‹, dachte Robineau. Dann schritt er, um sich Haltung zu geben, einige Male auf und ab und richtete seine Gedanken wieder auf das tragische Geschehnis. Er fühlte sich von zwiefacher Bekümmernis bedrückt, denn dieses Geschehnis würde sicherlich auch zur Folge haben, daß die Sache, die Riviere verfocht, in Mißkredit geriet.
    Er sah ihn wieder vor sich, eingeschlossen in seinem Büro, diesen Mann, der eben »mein Lieber« zu ihm gesagt hatte. Noch nie war ein Mensch so ohne Beistand gewesen. Robineau empfand tiefes Mitleid mit ihm. Allerlei Worte gingen ihm unbestimmt durch den Kopf, die ihm Teilnahme und Trost zusprechen sollten. Ein Gefühl beseelte ihn, das ihm selber sehr edel erschien. Er klopfte leise an die Tür. Keine Antwort kam. Er wagte in dieser Stille nicht, stärker zu klopfen, und öffnete die Tür.
    Riviere saß an seinem Tisch. Robineau trat zum erstenmal fast beschwingten Fußes bei ihm ein, sozusagen als Freund, sozusagen wie der Feldwebel, der im Kugelregen seinem verwundeten General beispringt und in der Niederlage nicht von seiner Seite weicht und sein Bruder im Exil wird. ›Ich bin der Ihre, komme, was wolle‹, schien Robineau sagen zu wollen.
    Riviere schwieg und betrachtete gesenkten Kopfes seine Hände. Und Robineau, der vor ihm stand, wagte nicht mehr, den Mund aufzutun. Auch der entkräftete Löwe noch schüchterte ihn ein. Worte, immer trunkener von Ergebenheit, stiegen in ihm auf, aber jedesmal, wenn er den Blick hob, sah er diesen zu drei Viertel gesenkten Kopf vor sich, dieses graue Haar, diese Lippen, zusammengepreßt über wieviel Bitterkeit! Endlich gab er sich einen Ruck:  »Herr Direktor .« 
    Riviere hob den Kopf und sah ihn an. Riviere tauchte aus einer so tiefen, so fernen Versunkenheit auf, daß er vielleicht die Anwesenheit Robineaus noch gar nicht bemerkt hatte. Er betrachtete Robineau lange, wie den lebendigen Zeugen von irgend etwas. Robineau wurde verlegen. Je mehr

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