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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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Die fünfaundert Pferdekräfte des Motors erweckten in der Materie einen ganz leisen Strom, der ihre Eishärte in Fleisch und Nerv verwandelte, sammetweich anzufühlen. So war es immer. Weder Schwindel noch Rausch empfand man im Flug, sondern nur das geheimnisvolle Arbeiten einer lebendigen Substanz.
    Er hatte sich jetzt seine Welt wiederhergerichtet und rückte sich mit den Ellbogen bequem darin zurecht. 
    Er griff an die Schalttafel, prüfte die Schalter der Reihe nach, rückte ein wenig herum, lehnte sich tiefer in den Sitz und suchte nach der besten Stellung, um die Schwankungen der fünf Tonnen Metall recht zu spüren, die die leise bewegte Nacht auf ihren Schultern trug. Dann tastete er umher, schob seine Notlampe an ihren Platz, ließ sie los, fand sie wieder, vergewisserte sich, daß sie nicht rutschen konnte, ließ sie wieder los, um an jeden Hebel zu rühren und seine Finger zu üben, daß sie auch ja alles blindlings wiederfänden. Dann, als er seiner Hände ganz sicher war, erlaubte er es sich, eine Lampe anzuzünden, den Zierat der Instrumente au&litzen zu lassen, und überwachte vornübergebeugt auf den Zifferblättern sein Eintauchen in die Nacht. 
    Dann, als nichts schwankte, nichts vibrierte, nichts zitterte und sein künstlicher Horizont, sein Höhenmesser und der Tourenzähler ganz ruhig blieben, streckte er sich ein wenig, lehnte seinen Nacken gegen das Leder des Sitzes und begann sich der tiefen Beschaulichkeit des Flugs hinzugeben, die einen wohlig mit einer unbestimmten, unerklärlichen Hoffnung erfüllt.
    Und so, wach im Herzen der Nacht wie ein Totenwächter, wurde er sich plötzlich bewußt, daß das Menschenwesen da drunten bei Nacht deutlicher hervortrat als bei Tage: diese Lichter, diese stummen Rufe, diese Unruhe. Der einzelne Stern dort im Dunkeln: die Einsamkeit eines Hauses. Einer erlischt: das ist ein Haus, das sich über seiner Liebe schließt. 
    Oder über seiner Langenweile. Ein Haus, das davon abläßt, der übrigen Welt sein Zeichen zu geben. Sie wissen nicht, wohin ihr Hoffen geht, die Bauern, die da mit aufgestützten Ellbogen am Tisch hocken vor ihrer Lampe: sie wissen nicht, daß ihr Wünschen so weit trägt in der großen Nacht, die sie umfängt. Aber er, Fabien, erspäht es, wenn er tausend Kilometer weit daherkommt, auf und ab gewiegt in der Dünung der Luft, aus zehn Gewittern her wie durch Kriegsgebiet - Mondlichtungen dazwischen - und nun über diese Lichter hin, eins nach dem andern, in Siegesgefühl. Diese Menschen meinen, ihre Lampe leuchte für ihren bescheidenen Tisch, aber vierundachtzig Kilometer weit von ihnen vernimmt man schon den stummen Anruf dieses Lichts, gleich als schwenkten sie es verzweifelt auf verlassener Insel am Rande des Meeres. 
II
    So kamen die drei Postflugzeuge von Patagonien, von Chile und von Paraguay, von Süden, Westen und Norden her zurückgeflogen auf Buenos Aires zu. Dort erwartete man ihre Fracht, um gegen Mitternacht den Europakurier zu starten.
    Drei Piloten hockten nun, jeder hinter seinem Vorbau, schwer wie eine Schaluppe, verloren in der Nacht und bedachten ihren Flug und würden nun bald aus ihrem Gewitter- oder Sternenhimmel langsam herabsteigen zu der riesigen Stadt, gleichwie fremdartige Bauern aus ihren Bergen. 
    Riviere, verantwortlicher Leiter des gesamten Flugnetzes, ging auf dem Landungsplatz von Buenos Aires hin und her. Schweigend. Denn bis zur Rückkehr der drei Flugzeuge blieb dieser Tag für ihn bedroht. Minute um Minute, mit jedem Funkspruch, der eintraf, hatte Riviere das wachsende Gefühl, dem Schicksal etwas zu entreißen, den Einfluß des Unbekannten zu verringern und seine Mannschaften aus der Nacht herauszuziehen ans Ufer. 
    Ein Arbeiter trat an ihn heran, um ihm eine Nachricht der Funkstation zu überbringen: 
    »Der Chilekurier meldet, daß er die Lichter von Buenos Aires in Sicht hat.« 
    »Gut.« 
    Nun würde er diesen ersten bald hören. Diesen einen lieferte die Nacht schon aus, wie das zähe Meer einen Schatz an den Strand treibt, den es lange hin und her gespült. Und später würde sie ihm auch die beiden anderen herausgeben.
    Dann war ein Strich unter diesen Tag gemacht. Dann konnten die verbrauchten Mannschaften schlafen gehen, ersetzt durch die frischen. Aber er, Riviere, würde noch keine Ruhe haben: der Europakurier harrte der Abfertigung. So würde es immer sein. Immer. Zum erstenmal überraschte sich der alte Kämpfer dabei, daß er sich müde fühlte. Die Rückkehr der Flugzeuge

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