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Nachtgieger

Nachtgieger

Titel: Nachtgieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Maria Dries
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war: Um die Wette erzählten sie Zoten, die ihn aus der Fassung bringen sollten. Die Versuche, sich mit seiner „freiberuflichen wissenschaftlichen Tätigkeit“ vom Hausmannsimage zu befreien, scheiterten kläglich, weil sich keine der Frauen darunter etwas vorstellen konnte. Wahrscheinlich gelang es ihm auch nicht, sie wichtig genug darzustellen. Da er wusste, dass er mit seiner Arbeit nur marginal zum Familieneinkommen beitrug, hatte er manchmal ein Problem mit dem Selbstwertgefühl. Männlicher Schmarrn, sagte Martina nur dazu. Auf jeden Fall hatte Martin damals beschlossen, sich niemals mehr in die Klauen von Mütterhorden zu begeben. Außerdem mochte er keinen Prosecco.
     
    Er nahm die S-Bahn zum Hauptbahnhof und von dort den Bus zum Baldeplatz. Als er das Arbeitsamt passierte, brach die Sonne durch die Wolkendecke. An den Baumkronen, die über die hohe Mauer des alten Südfriedhofs ragten, begannen tausend Wassertropfen zu glitzern. Zwei Minuten später, als Martin am Baldeplatz ausstieg, war die Sonne verschwunden, und ein Regenschauer prasselte herab. Er hastete über die Straße zu Martins Laden. Es machte ihm fast nichts aus, dass er nass wurde: Der kurze lichte Moment hatte seine Laune um Klassen gebessert.
     
    Die Ladentür fehlte, und neben ihr lag ein kleiner Stapel nasser Bücher mit welligen Seiten auf dem Boden. Sonst hatte Andrea alle Spuren des nächtlichen Besuchs in untypischem Fleiß schon beseitigt.
    Martin warf die Tüte mit den Nusshörnchen, die er unterwegs gekauft hatte, auf den Tisch. Andrea hatte bei ihrem kurzen Telefonat geklagt, dass er wegen der kaputten Tür nicht zum Essen gehen könne, und Martin wusste, wie wichtig dem Freund regelmäßige Mahlzeiten waren. Das Mittagessen ausfallen lassen zu müssen, war für ihn sicher eine größere Störung der Behaglichkeit als der Einbruch an sich.
    Andrea kam aus dem hinteren Raum, der als Lager diente, und machte sich dankbar über die Nusshörnchen her. Dazu trank er Bier aus der Flasche, eine Kombination, die Martin den Gaumen zusammenzog. Doch „Bier passt zu allem“, wie Andrea häufig und auch jetzt wieder betonte. Martin geizte nicht mit seiner Standardreplik „Und du willst ein Italiener sein“, worauf Andrea wie immer antwortete: „Ich will nicht, ich bin einer.“
    Nachdem so den kommunikativen Ritualen ihrer Freundschaft Genüge getan war, gab Andrea einen Überblick über die Geschehnisse des Vormittags. Martin hörte ein wenig ungeduldig zu, was einerseits an Andreas Hang zur Umständlichkeit lag und andererseits an der Tatsache, dass Fessler sicher schon auf die Bücherliste wartete. Bis auf eine kaputte Tür, einige feuchte Bücher und ein paar fehlende Flaschen war ja kein großer Schaden entstanden. Martin murmelte Worte des Bedauerns, bevor er endlich mit dem eigenen Anliegen herausrücken konnte:
    „Das Buch mit dem seltsam gewebten Einband, das ich dir gestern aus Deggendorf mitgebracht habe – hast du dir das schon angesehen?“
    „Wie denn?“ Andrea machte eine unbestimmte Geste auf die fehlende Tür und den Bücherstapel.
    „Es gibt dazu nämlich noch einen Hintergrund, den ich dir gestern nicht erzählt habe. Jetzt habe ich auch keine Zeit, weil ich zu Fessler muss. Lass uns doch heute Abend im Schlachthof treffen – und bring die beiden Bücher mit, das von gestern und das, das ich dir vor ein paar Wochen aus Perlebach mitgebracht habe. Da gibt es nämlich einen Zusammenhang.“
    Andrea erinnerte sich dunkel an das Buch aus Perlebach. Er sah es vor sich zu Hause auf dem Tisch liegen, und jetzt fiel ihm auch auf, dass es dem Buch, das ihm Martin gestern mitgebracht hatte, sehr ähnlich sah: mit einem seltsam gewebten Einband, der wie aus Brokat aussah, mit silbernen und goldenen Fäden durchwirkt.
    Andrea zögerte. „Ich weiß nicht. Vielleicht kommt Nikki heute Abend.“
    „Seid ihr wieder zusammen? Bring sie in Gottes Namen mit“, sagte Martin nach kurzem Zögern. „Also dann, acht Uhr im Schlachthof.“
    Die letzten Worte rief er, während er schon zum Bus rannte, der gerade an die Haltestelle fuhr.
    Andrea fiel auf, dass ihm das Buch, das Martin ihm gestern gebracht hatte, beim Aufräumen gar nicht unter die Finger gekommen war. Er wühlte sich durch die Stapel auf seinem Schreibtisch, dann sah er das Häufchen aufgeweichter Bücher in der Ecke durch: Nichts. Auch in den Regalen fand er nichts: Das Buch blieb verschwunden. War also doch etwas gestohlen worden? Andrea begann hektisch, die

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