Nachtglut: Roman (German Edition)
Gänseblümchenmuster. Ihr Haar war aufgedreht, und ihre Augen waren vom Schlaf verquollen.
»Sheriff Hardge? Entschuldigen Sie, Ezzy?«
Ezzy drehte den Kopf zur Tür seines Büros und zwinkerte verwirrt den Deputy an. Er hatte vergessen, wo er war. Seine Erinnerung hatte ihn zweiundzwanzig Jahre in die Vergangenheit katapultiert. In der Küche der Familie McCorkle hörte er nicht Frank, sondern Mrs. McCorkle seinen Namen sagen, fragend und mit einem Anflug von Angst.
Er rieb sich die müden Augen. »Ja, Frank. Was ist denn?«
»Ihre Frau ist am Telefon. Sie wollte wissen, ob Sie hier sind.« Er zwinkerte. »Was soll ich ihr sagen?«
»Schon gut, Frank. Danke.«
Kaum meldete er sich, fiel Cora umgehend zornig über ihn her. »Was ist das für eine Art, dich aus dem Haus zu schleichen, während ich schlafe, und mir nicht zu sagen, wo du hin willst?«
»Ich hab dir doch einen Zettel geschrieben.«
»Ja, da steht drauf, du wärst im Büro. Wie sollte ich das verstehen? Schließlich bist du gestern offiziell in den Ruhestand getreten.«
Er mußte lächeln. Vor sich sah er sie zu ihrer vollen Größe von einem Meter fünfundfünfzig aufgerichtet, kerzengerade, als hätte sie ein Lineal im Rücken, die Hände in die Hüften gestemmt, mit blitzenden Augen. Es war ein Klischee, aber es paßte: Im Zorn war Cora noch hübscher als sonst.
»Ich wollte dich eigentlich zum Frühstück im IHOP einladen, aber wenn du so ungenießbar bist, such ich mir vielleicht eine andere.«
»Als ob irgendeine andere sich überhaupt mit dir abgeben würde!« Nach einer gekränkten Pause fügte sie hinzu: »Ich bin in zehn Minuten fertig. Laß mich nicht warten.«
Er räumte auf, bevor er ging, und verstaute, was er aufbewahren wollte, in Kartons, die die Gemeinde aufmerksamerweise bereitgestellt hatte. Frank half ihm, die Kartons zum Wagen hinauszutragen. Als alles im Kofferraum untergebracht war, gab er Ezzy die Hand. »Wir sehen uns, Ezzy!«
»Machen Sie’s gut, Frank!«
Erst nachdem der Deputy wieder hineingegangen war, legte Ezzy die McCorkle-Akte zu den anderen. Er würde den Kofferraum nicht in Coras Beisein auspacken. Ein Blick auf die Akte, und sofort wüßte sie, was ihn mitten in der Nacht aus dem Bett getrieben und die vergangenen Stunden beschäftigt hatte. Dann würde sie wirklich sauer sein.
3
M orgen ist es soweit, denk dran«, flüsterte Carl Myron zu.
»Klar, Carl. Ich denk dran.«
»Mach also bloß keinen Quatsch. Nicht daß du am Ende passen mußt!«
»Bestimmt nicht, Carl.«
Total behämmert, dachte Carl, Myron in die wasserhellen Augen blickend, hinter denen sich nichts als geistige Öde dehnte.
Obwohl es eigentlich nicht ganz fair war, Myrons Verhalten in Zweifel zu ziehen, wo er selbst doch beinahe alles verpfuscht hätte. Zwar hatte er nur seine Haut retten wollen; aber wenn er noch einmal in so eine Situation geriete, würde er sich nicht mehr wehren.
Als dieser Nigger sich auf ihn gestürzt hatte, hatte er rotgesehen. Es hatte vier Männer gebraucht, ihn ins Krankenhaus zu befördern und im Bett festzuschnallen. Und selbst da noch hatte er es geschafft, den Pfleger in den Arm zu beißen. Ein Beruhigungsmittel hatten sie ihm nicht geben können, weil sie seinen Kopf noch nicht untersucht hatten, um das Ausmaß seiner Verletzung festzustellen.
Von mörderischen Kopfschmerzen geplagt, hatte er den Rest des Tages und die ganze Nacht getobt und gewütet. Er hatte gebrüllt wie ein Wahnsinniger und gegen Gott, den Teufel und die Nigger gewettert, die ihn womöglich seine einzige Chance auf Flucht gekostet hatten.
Rückblickend war ihm klar, daß es gescheiter gewesen wäre, still im Dreck liegenzubleiben und sich von diesem
Gewichtheber dreschen zu lassen, bis die Wärter angerückt wären und ihn weggezogen hätten. Wieviel mehr Schaden hätte er in den paar Sekunden schon anrichten können?
Man hatte eine leichte Gehirnerschütterung bei ihm festgestellt. Carl hatte sich ein paarmal übergeben, etwas unscharf gesehen; aber bis zum Spätnachmittag des folgenden Tages war das ausgestanden. Er hatte Kopfschmerzen gehabt, gegen die alle Schmerzmittel nichts ausrichteten. Schließlich waren sie von selbst vergangen. Seine Nieren taten ihm zwar weh, aber der Arzt hatte gesagt, es werde kein dauernder Schaden bleiben.
Ein paar unangenehme Tage folgten, aber er war dankbar gewesen für die Verletzungen. Sie zeigten dem Wärter, daß er das Opfer war und nur versucht hatte, sich zu verteidigen, indem er
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