Nachtglut: Roman (German Edition)
›Wahlfächer‹ stand neben ihrem Namen: Chor, Spanisch, Hauswirtschaft. Ihr Tip an die Mitschüler der unteren Klassen lautete: ›Feiern, feiern, feiern!‹
Schulabschlußfotos, bei denen man sich in Barett und Talar präsentieren muß, schmeicheln selten; Patsy jedoch sah extrem unattraktiv aus, schon deshalb, weil sie ohnehin keine Schönheit war. Sie hatte kleine Augen, eine breite, flache Nase, und der schmallippige Mund saß über einem fliehenden Kinn.
Aber beliebt war sie trotzdem gewesen, besonders bei den Jungen. Sehr schnell hatte Ezzy herausbekommen, daß Patsy McCorkle mehr Verehrer um sich versammelte als alle anderen Mädchen ihres Jahrgangs. Weil sie, wie eine ihrer Mitschülerinnen – die jetzt die Texaco-Tankstelle in der Crockett Street betrieb – ihm verlegen erklärt hatte, »jeden rangelassen hat, Sheriff. Sie verstehen, was ich meine?«
Ezzy verstand. Diese Mädchen, die ›jeden ranließen‹, hatte es auch zu seiner Schulzeit schon gegeben, und jeder wußte, wer sie waren.
Aber Patsys zweifelhafter Ruf hatte es ihm nicht leichter gemacht, an jenem heißen Morgen im August ihre Eltern aufzusuchen und ihnen jene Nachricht zu überbringen, die keine Mutter und kein Vater hören wollen.
McCorkle war Angestellter der Versorgungsbetriebe. Ezzy kannte ihn flüchtig, befreundet waren die beiden Männer nicht. McCorkle kam ihm entgegen, noch ehe er die vordere Veranda erreicht hatte. Er stieß die Fliegengittertür
auf und sagte gleich als erstes: »Was hat sie angestellt, Sheriff?«
Ezra bat, eintreten zu dürfen. Auf dem Weg durch die sauber aufgeräumten Zimmer zur Küche, wo schon Kaffee aufgesetzt war, berichtete McCorkle ihm, daß seine Tochter in letzter Zeit völlig außer Rand und Band sei.
»Es ist überhaupt nichts mit ihr anzufangen. Sie hat ihren Wagen demoliert, weil sie viel zu schnell und rücksichtslos fährt. Sie kommt jede Nacht erst in den frühen Morgenstunden nach Hause, trinkt bis zum Umfallen, steht dann morgens im Bad und reihert. Sie raucht Zigaretten, und ich möchte nicht wissen, was sonst noch. Patsy hält sich an keine unserer Regeln und versucht nicht einmal, es zu verheimlichen. Sie weigert sich, ihrer Mutter und mir zu sagen, mit wem sie ausgeht; aber ich habe gehört, daß sie sich mit diesen Herbolds rumtreibt. Als ich ihr deswegen Vorhaltungen machte und ihr verbieten wollte, sich mit solchen Kriminellen einzulassen, sagte sie, das ginge mich verdammt noch mal rein gar nichts an. Genau das waren ihre Worte. Sie könne ausgehen, mit wem sie wolle, auch mit verheirateten Männern, wenn es ihr Spaß mache. Wirklich, so, wie sie sich in letzter Zeit benimmt, Sheriff, traue ich ihr fast alles zu.«
Er reichte Ezzy eine Tasse frischgebrühten Kaffee. »Es konnte gar nicht ausbleiben, daß sie irgendwann mit dem Gesetz in Konflikt geraten würde. Und da sie heute nacht überhaupt nicht nach Hause gekommen ist, habe ich Sie eigentlich schon erwartet. Was hat sie angestellt?« wiederholte er.
»Ist Ihre Frau da?«
»Sie ist oben… schläft noch.«
Ezzy nickte, sah zu seinen schwarzen Stiefeln hinunter, dann hinauf zu den gerüschten weißen Vorhängen am Küchenfenster, hinüber zu der roten Katze, die um ein Bein des Tisches strich, auf dem sein Kaffeebecher stand.
»Ihre Tochter ist heute morgen tot aufgefunden worden, Mr. McCorkle.«
Diesen Teil seiner Arbeit haßte er. Zum Glück kam es nicht allzu häufig vor, daß er den Leuten solche Hiobsbotschaften ins Haus bringen mußte – sonst hätte er sich wahrscheinlich schon längst nach einer anderen Tätigkeit umgesehen. Es ging verdammt an die Nieren, einem Menschen ins Auge zu blicken, dem man soeben eröffnet hatte, daß sein Kind oder Partner nie wieder nach Hause kommen würde. Und es war doppelt schwer, wenn der Betroffene sich noch Augenblicke zuvor im Zorn über den oder die Verstorbene geäußert hatte.
Alle Muskeln im Gesicht des Mannes schienen zu erschlaffen – wie durchgeschnitten. Nach diesem Tag sah McCorkle nie wieder aus wie früher. Die Leute im Ort machten ihre Bemerkungen über die Veränderung. Ezzy konnte auf den Moment genau sagen, wann sie stattgefunden hatte.
»Ein Autounfall?« stieß McCorkle hervor.
Ezzy wünschte, es wäre so. Er schüttelte den Kopf. »Nein, Sir. Sie – äh – sie wurde kurz nach Tagesanbruch gefunden, draußen im Wald, am Fluß.«
»Sheriff Hardge?«
An der Küchentür stand Mrs. McCorkle in einem leichten Morgenrock mit
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