Nachtglut: Roman (German Edition)
du?«
»David.«
»Freut mich, dich kennenzulernen, David.« Er wies mit einer kurzen Kopfbewegung zum Wagen. »Was habt ihr denn für Schwierigkeiten?«
Der Junge zuckte die Achseln, wobei er beide Schultern bis fast zu den Ohren hochzog und gleichzeitig die Arme ausbreitete. »Ich weiß nicht. Meine Mama und ich wollten in die Stadt, aber wie wir ins Auto gestiegen sind, hat’s nur so gemacht.« Er gab ein Röcheln von sich und zuckte mit dem ganzen Körper, wie von Krämpfen geschüttelt. »Dann ist der Motor ausgegangen, und jetzt springt er nicht mehr an.«
Jack nickte und machte sich auf den Weg zum Wagen und zu der Frau, die nicht halb so entgegenkommend war wie ihr Sohn. Vielleicht wollte sie keine Einmischung. Vielleicht
hatte sie auch Angst vor Fremden und glaubte, wenn sie ihn ignorierte, würde er wieder verschwinden.
»Äh – Madam? Kann ich Ihnen behilflich sein?«
Der Junge trat zu seiner Mutter, legte seinen Handballen an ihren Oberschenkel und drückte ein paarmal dagegen. Diesmal richtete sie sich auf und drehte sich ungeduldig herum. Erst da bemerkte sie offenbar Jack; sie fuhr zurück, als hätte sie sich verbrannt.
»Meine Mama ist gehörlos«, erklärte der Junge. »Sie hat dich nicht kommen gehört. Ich glaub, du hast sie erschreckt.«
Den Eindruck hatte Jack auch. Ihr Blick flog hastig von ihm zu seinem Wagen, dann wieder zurück zu ihm – als versuchte sie festzustellen, ob von ihm Gefahr drohe.
Der Kleine sagte: »Wenn man sich anschleicht, wird sie wütend.«
»Ich wußte nicht, daß ich mich anschleiche.« Jack bot ihr die Hand, um sich zu entschuldigen.
Ihre Reaktion bestand darin, den Jungen an sich zu reißen und sich an den Kühlergrill ihres Wagens zu pressen.
»Ma-ma!« protestierte David und entwand sich ihr. Er sprach mit Zunge und Händen. »Du brauchst keine Angst zu haben. Er ist nett. Er heißt Jack. Er –«
Mit erhobener Hand gebot sie ihm zu schweigen.
»Sag ihr, daß es mir leid tut. Ich wußte nicht –«
»Sie kann dir alles von den Lippen ablesen«, unterbrach ihn der Junge. »Ich zeig ihr mit Zeichen, was du sagst – aber sie kann gut von den Lippen lesen.«
Jack sah sie an und sagte mit übertriebenen Mundbewegungen: »Können Sie mich verstehen?«
Ihre Augen verengten sich ein wenig. Aus Ärger, vermutete Jack. Er hatte allerdings keine Ahnung, was an ihm sie so verstimmte. Sie nickte einmal kurz und ziemlich heftig, wobei sich ihr langes Haar aus dem Knoten am Oberkopf löste. Es hatte die gleiche dunkle Farbe wie das des Jungen,
doch die Sonne brachte kupferrote Strähnen zum Vorschein.
»Ich wollte Sie nicht erschrecken, Madam. Eigentlich wollte ich zu Mr. Corbett. Aber da ich nun schon mal hier bin, würde ich Ihnen gern helfen, Ihren Wagen wieder in Gang zu bringen.«
Der Junge stieß sie an. »Okay, Mama?«
Verneinend schüttelte sie den Kopf.
Enttäuscht sagte der Junge zu Jack: »Ich glaube, sie will nicht.«
»Ich möchte wirklich nur helfen, Madam«, versicherte Jack.
Sie behielt ihn mißtrauisch im Auge, während sie dem Jungen Handzeichen machte, die dieser übersetzte. »Sie sagt, vielen Dank, aber wir rufen die Werkstatt an.«
»Ja, das können Sie natürlich tun. Aber vielleicht ist es gar nicht nötig.« Jack wies auf den Wagen. »Es ist am Ende nur eine Kleinigkeit.«
Ihre Finger bewegten sich rasend schnell, und ihre Lippen bildeten lautlos Wörter dazu. Ihre Mimik verriet, was sie sagte; dennoch sah Jack zu David, um es sich übersetzen zu lassen.
»Sie sagt, wenn es nur eine Kleinigkeit ist, kann sie’s auch selbst richten. Sie sagt, sie ist gehörlos und nicht – das hab ich nicht mitgekriegt, Mama. Was bedeutet das Zeichen?« Er tippte sich mit zwei Fingern an die Stirn.
Die junge Frau buchstabierte das Wort mit den Fingern, und David übersetzte die einzelnen Buchstaben. »Was für ein Wort kommt dabei raus, Jack?«
»Dumm«, gab der Auskunft.
»Ach so. Sie wird immer sauer, wenn die Leute denken, nur weil sie nichts hört, ist sie dumm.«
»So hab ich das wirklich nicht gemeint.« Jack, der jetzt selbst etwas ungeduldig wurde, rieb sich das Kinn. »Soll ich mir nun den Wagen anschauen oder nicht? Wenn nicht,
such ich mir nämlich schleunigst ein schattiges Plätzchen. Die Hitze ist ja die H-ö-Doppel-l-e.«
Mit seinen kurzen, kleinen Fingern buchstabierte David das Wort nach. »Was heißt das, Jack? Hölle?«
Ohne dem Jungen zu antworten, sagte Jack: »Also, wie machen wir’s, Madam?«
David
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