Nachtjäger
Frederic. »Ich habe keine Ahnung, wie ich diesen Konflikt lösen soll. Stell dir vor, wir hätten einen Sohn, den wir für tot hielten und nach mehr als siebzig Jahren erfahren wir, dass er noch lebt. Würde uns dann interessieren, ob er ein Vampir oder ein Unsterblicher ist?«
»Ich möchte nicht die Freundschaft von Ludwig und Lilou verlieren. Ohne sie gäbe es uns beide nicht. Wir haben ihnen alles, wirklich alles zu verdanken.«
»Ja.« Frederic zögerte. »Aber dürfen wir für das Wohl des Einen unzählige Opfer riskieren? Wobei nicht garantiert ist, ob wir überhaupt für Maurices Wohl sorgen können, denn falls er ein Vampir ist, ist er ein Jünger Daargons und somit genauso schlimm wie alle anderen. Er wird nicht mehr jener Maurice sein, den wir aufwachsen sahen, sondern ein … Bruder.«
Er machte es sich nicht einfach und das liebte Caroline an ihm. Er hatte weder die Kälte noch die Seelenlosigkeit eines Vampirs, obwohl er einer war. Er liebte nicht nur sie, Caroline, sondern auch seine Freunde. Er verfügte über die Gabe der Menschlichkeit, ohne ein Mensch zu sein. Vielleicht, resümierte Caroline, war er eben deshalb ein besserer Mensch. Sie streichelte ihm den Nacken.
»Wir müssen eine Entscheidung treffen«, sagte sie leise. »Heute Abend läuft Daargons Ultimatum aus.«
»Wir haben von Ludwig und Lilou seit zwei Tagen nichts gehört.« In Frederics Stimme schwang tiefe Sorge.
Im selben Moment klopfte es.
Caroline öffnete die Hotelzimmertür.
Ludwig und Lilou kamen herein.
»Bevor ihr etwas sagt«, Ludwig hob die Hand und warf eine Reisetasche auf das Bett »hört zu, was wir entschieden haben.«
Lilou, die ebenfalls eine Reisetasche dabei hatte, drückte sich an ihm vorbei.
Ludwig fuhr fort: »Wir setzen uns jetzt zusammen und entwerfen eine Strategie. Dann reißen wir Morgos Daargon den Arsch auf!«
»Und was ist mit Maurice?«, flüsterte Caroline.
Ludwigs Gesicht war hart, als er sagte: »Maurice ist tot. Er starb während der Bombardierung Londons. Ich weiß nicht, was oder wer er jetzt ist, gewiss jedoch kein Unsterblicher. Wäre er das, dürfte er nicht an Daargons Seite sein. Ist er es doch und an der Seite des Dunklen, muss er den Preis dafür bezahlen. Jeder hat die Wahl, hat die Entscheidung, auf welche Seite er geht. Wir, meine Freunde, haben uns entschieden, gegen das Böse anzutreten. Also tun wir es, oder?« Er blickte Lilou an.
Die Voodoopriesterin lächelte sanft. »Ja, das tun wir.«
Frederic stand auf, Caroline ging zu Lilou. Sie nahmen sich in den Arm.
Freunde. Nachtjäger.
Die Lagerhalle war schnell ausgemacht.
Brookman-Company Warehouse!
Nicht weit entfernt brodelte das Hafengeschehen und im Hintergrund hob die Freiheitsstatue ihren Arm. Hier jedoch war alles still.
Ludwig huschte über das feuchte Kopfstein und kam zu Frederic, Caroline und Lilou, die sich hinter einer Mauer versteckten.
»War kein Problem«, sagte der alt wirkende und dennoch agile Mann. »Daargon scheint sich seiner Sache sicher zu sein. Zwanzig Kilo gelatinöser Sprengstoff auf NG-Basis«, sagte er, kaum außer Atem. »Ich habe zusätzliche Detonatoren verwendet. Wenn ich den Zünder auslöse, zerplatzt die Halle wie ein fauler Apfel, der vom Baum fällt.«
»Die meisten Vampire werden überleben«, sagte Frederic.
»Ja, aber sie werden wie die Ratten vom sinkenden Schiff flüchten. Entweder sie verlieren ihren Kopf oder sie verbrennen. Beides könnte sein, wenn sie in den Trümmern bleiben«, grinste Ludwig. »Und wir warten auf sie.«
»Damit dürfte Daargon nicht rechnen. Er geht davon aus, dass wir uns um Maurice kümmern«, sagte Lilou.
»Vermutlich hat er deshalb keine Wachen aufgestellt«, fügte Caroline hinzu. Sie zitterte am ganzen Leib. Noch nie war sie vor einem Einsatz so nervös gewesen. Ihre Katzensinne kreischten.
Gefahr!
Etwas stimmt nicht!
Sie ignorierte ihren Instinkt. Das musste die innere Unruhe sein. Der Plan war gut. Sie würden nach der Detonation die Panik nutzen, um Daargon zu fangen und hoffentlich auch Maurice. Wenn alles gut ging, flohen die anderen Vampire oder liefen ihnen geradewegs in die Arme. Ludwigs Reisetasche war gefüllt mit Waffen, Lilous Tasche war jetzt leer. Erstaunlich, wie mühelos sie 40 Pfund Sprengstoff getragen hatte.
Dennoch war es fast unglaublich, dass Ludwig bei seiner tapferen Tat weder beobachtet noch erwischt worden war. Es hatte sich um eine schier unmögliche Aufgabe gehandelt, die letztendlich fast spielerisch
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