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Nachtjäger

Nachtjäger

Titel: Nachtjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Farmer
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schickte man ihn nach Indien. Dort leitete er die Abteilung einer Tea-Company, überstand die Malaria, und als er nach Hause zurückkehrte, fand er Eltern vor, die ihn mit Geld versorgten, und ihm den Weg in die Stadt wiesen. Sie versprachen ihm eine Million Pfund, wenn er nach zehn Jahren zurückkehrte, und 50.000 selbst verdiente Pfund vorweisen konnte. Das ließ er sich nicht zweimal sagen und ging in die City, nicht ohne vorher noch einmal zu fragen, warum niemand in seiner Familie alterte und erneut ohne Antwort.
    Georg V. herrschte und als der irische Freistaat das Vereinigte Königreich verließ, worauf der Staatsname in »Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland« geändert wurde, kehrte Maurice als vermögender Mann nach Asburyhouse zurück.
    Das alte Herrenhaus war verwaist.
    Verzweifelt suchte Maurice seine Eltern, doch er fand sie nie.
    Verbittert und geängstigt kehrte er zu seinen Tätigkeiten zurück. Es dauerte lange, bis er die Verzweiflung überwunden hatte und seine Haare wurden weiß. Er heiratete eine Büroangestellte und zeugte zwei Kinder, von denen eines überlebte.
    Am 7. September 1940 begann das, was man den London Blitz nannte. 900 deutsche Flugzeuge bombardierten die Docks von London und das East End. Bis zum 15. November griffen durchschnittlich 200 Bomber aus Deutschland und Italien jede Nacht die Hauptstadt an und zum Schluss waren es 400 Bomber, die London über sechs Stunden lang in Schutt und Asche legten. Einer der verheerenden Angriffe auf die Londoner City führte zu einem Feuersturm, der als der zweite große Brand in London bezeichnet wurde.
    Mitten in diesem Brand suchte Maurice seine Familie. Sein Haus existierte nicht mehr, seine Frau und das Kind waren vermutlich tot.
    Es war die Nacht, in der er jenem Mann begegnete, der sein Leben verändern sollte.
    Maurice war dem Wahnsinn nahe. Um ihn herum tobte ein Inferno aus Feuer, Beben und Tod. Der Mann, ganz in Schwarz gekleidet wie der leibhaftige Sensenmann, nahm ihn in seine Arme und führte den zitternden weinenden Mann in einen Torweg, wo er seine Zähne in Maurices Hals versenkte.
    Als Maurice erwachte, hatte sich seine Welt verändert.
    Zuerst fiel ihm die Ruhe, die Stille auf, dann, dass er sich gut fühlte, besser als gut – er strotzte vor Kraft und Energie. Es dauerte nicht lange, bis er sich an seine neue Realität gewöhnte. Sein Verstand hatte in der Nacht des großen Brandes Schaden gelitten und einen Fatalismus hinterlassen, der ihn fortan begleitete wie ein unsichtbarer Geist.
    Ich bin ein Vampir!
    Das war, als würde Schnee im Sommer fallen oder Wasser aufwärts fließen – es war schamlos unwirklich, dennoch war es eben so und fertig!
    Ich bin ein Vampir!
    Und ich liebe diesen Vampir, der mich pflegt und bei mir ist und mich vor dem sicheren Tod gerettet hat. Ich liebe Morgos Daargon!
    Von nun an wurde er Daargons Begleiter, war ihm treu ergeben und genoss seine an Magie grenzende Stärke, mit der er nicht nur nachts besser sehen konnte, sondern Dinge vollbrachte, von denen er nie auch nur geträumt hatte. Er genoss das Blut und die Macht, und als er erfuhr, wer seine Eltern wirklich waren, erfuhr er die wahre Dimension des Hasses.
    Sie haben mich belogen, betrogen, haben mich verlassen und töten meine Brüder und Schwestern!
    Daargon, der sich fürchtete, Maurice könne eigene Schritte gehen, befahl ihm, sich die Zunge herauszuschneiden. Maurice nahm ein Messer, zog seine Zunge aus dem Mund und säbelte sie ab. Der Schmerz war unvorstellbar, und weißes Blut sprudelte über seine Lippen. Er zögerte nicht, denn Morgos wollte es so, also gab es keine Widerrede. Es dauerte einen Monat, bis die Schmerzen vergingen und er begriff, dass er nie wieder reden würde. Vielmehr gurgelte er und kommunizierte mit Handzeichen. Morgos war zufrieden und tat alles, damit Maurice sich gut fühlte.
    Es vergingen Jahrzehnte und stets war Maurice an Daargons Seite. Er erlebte, wie der Vampir an Stärke gewann und erlebte seinen Herrn in schwachen Stunden, in denen er gegen einen Fluch ankämpfte, den er von Lilou DeSoussa erhalten hatte – von Maurices Mutter!
    Der Mächtige, wie er sich selbst nannte, machte kein Hehl aus seinem Hass gegen die Vier, die sich Nachtjäger nannten. Und dieser Hass übertrug sich auf Maurice. Er vergaß, dass er Eltern gehabt hatte. Er verdrängte alles, was auch nur ansatzweise Liebe sein mochte. Und er kultivierte seinen Zorn darüber, dass sie ihm ihre Unsterblichkeit

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