Nachtjäger
Den Kopf der Nachtjäger. Den Abtrünnigen, den Verräter. Es würde ohne einen Kampf abgehen, denn er konnte sich den Verlust seiner Leute nicht leisten. Jeder der Anwesenden war wichtig.
Daargon überlegte.
Frederic schwieg.
Caroline schluchzte und krallte sich an ihm fest.
Ludwig spuckte aus und Schweiß lief ihm über das Gesicht.
Lilou sackte zusammen und kauerte nun zu Ludwigs Füßen.
»Du hast recht«, sagte der Dunkle. »Sie leiden schon jetzt. Und sie werden sich nie verzeihen, dich hier zurückgelassen zu haben. Es wird sie in ihre Träume verfolgen, solange sie noch leben, also für alle Ewigkeiten. Schlimmer als jeder Fluch, sie beschreiten soeben den Weg in die Hölle. Ein guter Ort, um zu frieren!«
Er drehte sich zu seinen Leuten, in die Bewegung gekommen war. Stimmen schwirrten durcheinander. Mordlust. »Ihr habt es gehört? Frederic Densmore gehört euch. Lasst euch Zeit mit ihm, denn er hat uns zu viel angetan, um es schnell zu tun. Mehr Zeit, als bei Maurice. Nehmt ihm nicht gleich alles, sondern Stück für Stück.«
Caroline wollte Frederic nicht loslassen.
Sie liebte ihn, oh, wie sie ihn liebte. Jetzt mehr denn je!
Er war tapfer, er war ein guter Mann. Ohne ihn …
Ohne ihn …
»Genug geflennt, Weiber!«, donnerte Daargon. Er winkte zwei seiner Leute herbei. »Öffnet den Käfig. Eine falsche Bewegung von dir, Frederic, und deine Freunde sterben auf der Stelle. Du hältst dich schön im Hintergrund, bis sie die Halle verlassen haben, ist das klar?«
Frederic nickte stumm.
»Nein, Frederic«, wimmerte Caroline.
Der Käfig wurde geöffnet und harte Finger griffen sie, zogen sie von ihrem Liebsten weg. Sie wollte ihn nicht loslassen, wollte es nicht …
Dann war sie draußen, ebenso Ludwig und Lilou.
»Verschwindet«, sagte Daargon. »Und lasst euch nie wieder blicken. Ihr nehmt den Hinterausgang, und falls wir jemanden von euch sehen, der sich an den Waffen zu schaffen macht, sterbt ihr alle sofort nach Frederic. Bedankt euch für seine Tapferkeit. Er wusste von Beginn an, dass ihr Würmer mich nicht interessiert. Um ihn geht es, denn er hat uns verraten.«
Sie nahmen die Beine in die Hand und liefen.
Ohne sich noch einmal umzuschauen.
Nur raus aus dem Lagerhaus.
Nur weg hier.
Zurück in die vermeintliche Normalität.
Ohne Frederic.
Ohne den Vampir, der sich für seine Freunde opferte.
Sie hatten den Hinterausgang erreicht, stießen die Tür auf und kühle Nachtluft schlug ihnen entgegen. Erst jetzt merkten sie, wie sehr es im Lagerhaus gestunken hatte. Eine moderige Mischung aus Angst und Verderben.
Hinter ihnen wurde der Käfig geöffnet.
Dann schlug die Tür zu und sie waren in Freiheit.
»Idiot«, zischte Ludwig. »Ein eitler Idiot!«
Er griff in die Hosentasche und holte den Zünder hervor. Er drückte ihn …
… und nichts geschah!
Der hohe Berg
»Liebe Güte«, hauchte Lilou.
Sie liefen nebeneinander her und Ludwigs Daumen drückte und drückte auf den kleinen Sender.
»Von wegen Idiot«, stieß Caroline hervor und ihre Stimme wurde immer schriller. »Er wusste von den Sprengsätzen. Er wusste alles. Einer seiner Leute hat sie entschärft. Oh nein … Kein Wunder, dass er die Waffen nicht angerührt hat. Er fühlt sich sicher. Er weiß, dass wir verloren haben.« Sie blieb stehen und starrte ihre Freunde an. »Oh nein! Frederic! Frederic!«
Frederic Densmore trat vor den Käfig.
Er wartete auf die Explosion. Sie musste jeden Moment kommen und seine Aufgabe würde es sein, als Hase vor den Jägern in die richtige Richtung zu laufen – falls er nicht vorher verbrannte.
Morgos Daargon grinste und in seinen Augen spiegelte sich eine Form der Dunkelheit, die sogar Frederic sich nie ausgemalt hatte. Oh ja, er hatte in die Schwärze geblickt, hatte auf Mauern und Dachsimsen gehockt und in die Gassen gestarrt, während es in ihm pulste und der Blutdurst ihn schier umbrachte, war immer wieder auf der Schneide einer Rasierklinge gewandelt und hatte dennoch bis heute nicht einmal Menschenblut getrunken, oh ja – in diesen Augenblicken hatte er tief, sehr tief in sich hinein geschaut, jederzeit bewusst, was er war und immer sein würde.
Doch Daargon überbot dies alles.
Daargon mochte noch so viel philosophieren, letztendlich war er ein grausamer Vampir, ein Strigoi, der sich selbst
Vampyr
nannte und das gewöhnlich genutzte i für eine Verweichlichung der Gattung hielt.
Er mochte noch so stolz darauf sein, dass Vampire sich selten
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