Nachtklinge: Roman (German Edition)
mich verändert.«
»Davon habe ich gehört«, erwiderte sie knapp. »Dein lebhaftes Interesse an venezianischen Jungfrauen ist plötzlich erloschen. Dann bin ich ja in Sicherheit.«
»Gräfin …«
Er sah den Schmerz in ihren Augen und ergriff ihre Hand. Beschämt wandte sie sich ab und machte halbherzige Anstalten, ihre Finger zu befreien.
»Was quält Euch?«, fragte er.
»Giulietta.«
»Was ist mit ihr?« Sein Ton war etwas schärfer als beabsichtigt. Sie entzog ihm ihre Hand, und ihre Miene verschloss sich. »Verzeiht.«
»Du weißt, dass ein Abgesandter des deutschen Kaisers in Venedig eingetroffen ist?«
»Elizavet hat davon erzählt. Sie sagte, er sei heute Morgen mit fünf Rittern und zehn Dienern erschienen. Das halbe
fontego dei tedeschi
musste für die Gesandtschaft geräumt werden. Was ist mit ihm?«
»Ich sollte mich für Giulietta freuen, aber stattdessen …«
Tycho stutzte. Desdaio galt als durch und durch liebenswürdig und ohne Fehl. So finster hatte er sie noch nie gesehen. »Was hat dieser Gesandte mit Prinzessin Giulietta zu tun?«
»Sigismund schlägt eine Heirat vor.«
Tycho stellte sein Glas mit einem Ruck ab.
»Ich bin eifersüchtig, verstehst du?«, sagte Desdaio. »Jetzt ist es heraus. Ich bin eifersüchtig. Sie war schon einmal verheiratet, und nun heiratet sie wieder. Warum ist sie an der Reihe? Ich bin seit über einem Jahr mit Atilo verlobt!«
»Hat sie in die Heirat eingewilligt?«
Desdaio zuckte gleichgültig die Achseln.
Für Tycho hingegen zählte nichts anderes. Aber das konnte er Desdaio schlecht sagen. Er riss sich zusammen und lenkte das Gespräch in eine andere Richtung. »Habt Ihr Euch mit Atilo gestritten?«
Sie nickte stumm.
Tycho musterte sie von der Seite. Sie war ein wenig voller geworden und sah nicht mehr ganz so blühend aus wie früher. Ihr viel gerühmtes, haselnussbraunes Haar, das sie, im Unterschied zu anderen adligen Venezianerinnen, nicht rot färbte, wirkte fahl. Natürlich war Desdaio nach wie vor jung, schön und reich, doch ihr Strahlen war verschwunden.
»Gefällt dir, was du siehst?«, fragte sie ungewohnt direkt.
»Gräfin Desdaio …«
Sie verzog das Gesicht. »Die Anzahl der Jungfrauen in Venedig soll sich im vergangen Monat um die Hälfte verringert haben. Sie fallen wie welke Blätter.«
»Lauter Lügen.«
Desdaio funkelte ihn an. »Meine Jungfernschaft hat dich nicht interessiert?«
»Gräfin, das kann nicht Euer Ernst sein.«
»Warum nicht?«, brauste sie auf. »Er kommt jedenfalls nicht in mein Bett.«
»Habt Ihr ihn
darum gebeten?
« Nicht auszudenken, wie schockiert Atilo darüber gewesen sein musste.
»Ich habe ihn gefragt, wann wir heiraten, und er sagte, wenn die Zeit gekommen sei. Ich habe ihm vorgeschlagen, sein Bett zu teilen, wenn er das wünscht. Wir sind verlobt und könnten einen Eid schwören, dass wir einander heiraten und dann … Alle meine Freundinnen sind verheiratet und viele von ihnen haben bereits Kinder. Und jetzt heiratet Giulietta
schon wieder!«
Ihr Gewand öffnete sich ein wenig, als sie sich zu ihm beugte, und gab den Blick auf den Ansatz ihrer vollen Brüste frei. Er nahm den leichten Schweißgeruch auf ihrer Haut wahr und witterte ihr plötzliches Verlangen, als ihr Busen sanft unter dem Seidenkleid wogte und ihre Brustwarze seinen Arm streifte.
Sie küsste ihn leidenschaftlich, mit geöffneten Lippen. Dann stieß sie ihn entsetzt über sich selbst zurück.
So traf Giulietta das Paar kurz darauf an.
Auf größtmöglichen Abstand bedacht, saßen sie auf der Bank auf Tychos
altana,
über ihnen der prachtvolle Sternenhimmel, zwischen ihnen erschrockenes Schweigen.
»Herr«, verkündete Pietro laut.
Giulietta hob die Kerze und starrte die beiden so böse an, dass Tycho aufstand und den Docht mit den Fingern löschte.
»Wir betrachten die Sterne«, erklärte er.
»Sie ist hier, um nach den Sternen zu sehen?«
»Was dachtet Ihr denn?«, gab Desdaio schnippisch zurück.
Giulietta funkelte sie an. So pflegte man nicht mit einer Millioni-Prinzessin zu sprechen. »Woher soll ich das wissen? Tychos Dienerin wollte mich jedenfalls nicht unangekündigt hereinlassen und Euer Page wollte mich nicht heraufbegleiten.«
»Vielleicht hättet Ihr auf die beiden hören sollen.«
Tycho erhob sich und berührte den gespannt lauschenden Pietro an der Schulter. »Begleite Gräfin Desdaio in meiner Gondel nach Hause. Lass das Boot am anderen Kanalufer, ich schicke morgen jemanden, um es zu
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