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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Familie.«
    »Am Sonntag werd ich in der Uni nicht viel Erfolg haben.«
    »Ach so, ja, dann mach das morgen. Dafür triffst du heute hier im Haus umso mehr Leute an.«
    »In der Küche sitzt die Frau, die die Polizei alarmiert hat, und heult Rotz und Schnute. Loni Maier. Dürfte so um die siebzig sein.«
    »Gut. Dann tröste sie und zieh ihr die Würmer aus der Nase. Vielleicht erzählt sie dir ja auch gern und ganz freiwillig was. Man weiß ja nie.«
    Ben nickte und verschwand in Richtung Küche.
    Susanne spürte, dass ihr die Situation ziemlich an die Nieren ging. Vielleicht lag es auch an dem widerlich stechenden Verwesungsgeruch, an den sie sich nie gewöhnen würde. Früher hatte sie immer gedacht, nur alte Menschen wären einsam, aber jetzt lagen auch schon blutjunge Männer tagelang tot in ihren Wohnungen, ohne dass sich jemand Sorgen um sie machte und sie vermisste.
    Sie sprach den Pathologen an. »Können Sie mir schon was verraten?«
    Dr. Schacht sah auf. »Nicht viel. Aber mit großer Wahrscheinlichkeit ist er erdrosselt worden.«
    »Womit?«
    »Keine Ahnung. Wir haben hier nichts gefunden, was der Täter als Tatwaffe benutzt haben könnte. Eine Schnur war es jedenfalls nicht, das würde am Hals scharfe Einschnitte und Verletzungen hinterlassen. Eher ein Schal, ein Seidenstrumpf oder so ähnlich.«
    »Also hat der Täter sein Mordwerkzeug mit nach Hause genommen. Als hübsche Erinnerung.«
    »So ist es.«
    »Und wie lange liegt er schon hier?«
    »Eine Woche bestimmt. Vielleicht auch zehn Tage. So genau weiß ich das jetzt noch nicht.«
    »Wann bekomme ich den Bericht?«
    »Übermorgen.«
    »Danke, Doktor.«
    »Ach noch etwas, Frau Knauer!«
    »Ja?«
    Dr. Schacht grinste. »Wir haben haufenweise DNA -Spuren gefunden, können geradezu darin baden. Haare, Hautpartikel, Sperma und Blut. Alles was das Herz begehrt. Es scheint den Täter überhaupt nicht zu stören, dass er uns in zigfacher Ausfertigung seinen genetischen Fingerabdruck überlassen hat.«
    »Das lässt sich bei einem Sexualmord natürlich auch schwer vermeiden.«
    »Stimmt. Aber ich schätze, die Datei mit den bekannten Sexualstraftätern können wir knicken. Da wird er nicht drinstehen, sonst könnten Sie ihn übermorgen schon besuchen.«
    »Wie schön. Ein unbeschriebenes Blatt also.« Susanne lächelte bitter. »Ein braver Bürger, einer wie du und ich. Wunderbar.«
    Dr. Schacht streifte seine Handschuhe ab. »Genau. Ich bin genauso begeistert wie Sie.«
    Susanne blieb noch eine Weile vor dem Bett stehen und studierte das Gesicht der Leiche. Es war eingefallen und erschien fast hager, obwohl der Mann kein schmales Gesicht gehabt hatte, die Haut wirkte ledern und hatte ein abstoßendes, schmutziges Grau.
    Auf dem Wohnzimmertisch lag Jochens Brieftasche. Sie zog sich Handschuhe über und sah sich den Inhalt ganz genau an. Personalausweis mit einem Bild, auf dem er noch längere Haare hatte, ein drei Jahre alter Führerschein, zwei Kreditkarten, Karte der Barmer Ersatzkasse, ein kleiner Plastikkalender vom vergangenen Jahr, ein Babyfoto. Wahrscheinlich er selbst. Zwei Fünfziger, ein Zwanziger und ein Fünfeuroschein, drei Euro siebzehn in Münzen. Ansonsten keine weiteren Fotos, keine persönlichen Notizen, Merkzettel, Briefchen, Quittungen oder Ähnliches. Susanne hatte selten eine so dünne, übersichtliche und aufgeräumte Brieftasche gesehen.
    Sie schob sie zurück in den Plastikbeutel.
    Die Spurensicherung war mit ihrer Arbeit fertig, Jochen Umlauf wurde in einen grauen Kunststoffsarg gelegt und abtransportiert.
    Stumm stand sie da und sah den Männern hinterher, die den Sarg aus der Wohnung trugen. Der Tote könnte ihr Sohn sein.
    Irgendwo, wahrscheinlich in Stuttgart, wohnten seine Eltern und hatten keine Ahnung davon, was ihr Sohn in Berlin tat und mit wem er seine Zeit verbrachte. Mit großer Wahrscheinlichkeit war ihr Sohn schwul, und eventuell wussten sie das nicht. Denn vielleicht war er nach Berlin gezogen, um unbeobachteter und anonymer leben zu können.
    Sie musste sich unbedingt demnächst mit ihnen in Verbindung setzen.
    Als sie aus dem Haus ging und ins Auto stieg, überlegte sie, was sie eigentlich von ihrer Tochter wusste. Im Grunde nicht viel. Melanie war siebzehn, ging in die zwölfte Klasse und pulte jeden Morgen beim Frühstück demonstrativ die Pille aus der Plastikfolie. Und hin und wieder stellte sie Fragen wie: »Ist heute wirklich Dienstag?« Darauf erwartete sie zwar keine Antwort, war sich aber der Aufmerksamkeit

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