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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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ganzer Stolz. Jochen gab ihrem Leben einen Sinn, und in den letzten Wochen hatte sie schon manchmal überlegt, ob sie nicht nach Berlin ziehen und sich dort eine Stelle suchen sollte, um in seiner Nähe zu sein und wenigstens Sonntagmittag mit ihm essen zu können. Schließlich gab es in Berlin genug Altersheime, in denen sie arbeiten konnte.
    Und nun kamen diese beiden Menschen und machten alles zunichte. Sie hatten Uniformen angehabt und sich ausgewiesen, aber das musste nichts bedeuten. Heutzutage konnte man alles fälschen, und es gab viele Menschen, die an solch makabren Scherzen Gefallen fanden. Sie überlegte, ob sie die beiden irgendwann allein gelassen hatte. Dann hätten sie Zeit gehabt, ihren Wohnzimmerschrank zu durchsuchen. In der zweiten Schublade links, direkt hinter den Rommékarten, war eine alte Zigarrenkiste mit ihren Ersparnissen.
    Als ihr das einfiel, stürzte sie zum Schrank, fiel auf die Knie, riss die Schublade auf, suchte mit zitternden Händen nach der Zigarrenkiste in der hintersten Ecke, fand sie und klappte sie auf. Das Geld war noch da. Sie zählte fahrig und musste dreimal von vorn anfangen, weil sie sich verzählt hatte. Zweitausendachthundertneunzig Euro. Es stimmte haargenau. Sie kannte die Summe, weil sie seit zwei Monaten darauf wartete, die dreitausend voll zu machen, aber bisher war ihr das noch nicht gelungen. Erst vor drei Tagen war ihr Staubsauger kaputtgegangen, und sie hatte einen neuen kaufen müssen.
    Zur Bank brachte sie ihre Ersparnisse grundsätzlich nicht. Wie leicht konnte sie ihren Job verlieren, und dann nahm ihr der Staat alles weg. Was auf dem Konto lag, war verloren. Da erschien ihr die Zigarrenkiste wesentlich sicherer.
    Sie legte das Geld zurück und setzte sich auf den Boden. Ganz allmählich begriff sie. Man hatte sie nicht bestohlen. Die Polizisten waren echt gewesen. Sie hatten gesagt, Jochen ist tot. War tot aufgefunden worden. In seiner Wohnung in Berlin. Was genau geschehen war, konnten sie jetzt noch nicht sagen.
    Sie wusste nicht, was sie machen sollte.
    Noch einmal nahm sie die Zigarrenkiste zur Hand und steckte das gesamte Geld in die Tasche ihrer Kittelschürze. Dann stand sie mühsam auf.
    Im Flur stopfte sie das Geld in ihre Handtasche, zog ihre Kittelschürze aus, ging ins Schlafzimmer, um sich Rock und Bluse anzuziehen, schlüpfte in ausgetretene Straßenschuhe, nahm ihre Schlüssel und verließ die Wohnung.
    Es musste Jahre her sein, dass sie das letzte Mal in einem Reisebüro gewesen war.
    Berlin, Juni 2009
    Bereits am nächsten Morgen um Punkt neun Uhr kam Frau Umlauf ins Polizeipräsidium und verlangte den Kommissar zu sprechen.
    Susanne bat sie sofort ins Büro. Vor ihr stand eine blasse, stark übergewichtige Frau mit herausgewachsener Dauerwelle und unbeholfen geschminkten Augen. Die Haare auf dem Hinterkopf waren platt gedrückt, als hätte sie sie mor gens nach dem Aufstehen noch nicht einmal durchgekämmt.
    »Bitte setzen Sie sich«, begann Susanne. »Möchten Sie einen Kaffee?«
    »Ja. Bitte.«
    »Wo haben Sie übernachtet?«, fragte Susanne freundlich.
    »Im Zug. Ich bin nachts gefahren.«
    »Ah ja.« Susanne reichte ihr einen Becher Kaffee. »Milch?«
    »Ein bisschen.«
    Frau Umlauf goss die Milch direkt aus der Tüte mit Schwung in ihren Kaffee und trank hastig.
    »Das, was passiert ist, tut mir unendlich leid, Frau Umlauf«, begann Susanne Knauer und beobachtete Ellen Umlauf genau. Sie konnte sie schlecht einschätzen. Auf der einen Seite erschien sie ihr gefasst und reserviert, fast ein wenig feindselig – auf der anderen Seite war es auch möglich, dass die Frau völlig unvermittelt in Tränen ausbrechen könnte.
    Ellen schniefte geräuschvoll. »Kann ich ihn sehen?«, fragte sie. »Wenn ich ihn nicht mit eigenen Augen gesehen habe, kann ich nicht glauben, dass er tot ist.«
    Susanne nickte. »Ja, das können Sie. Ich denke, heute Nachmittag wird die Pathologie so weit sein. Bitte, Frau Umlauf, erzählen Sie mir etwas über Jochen und über sich selbst. Sie leben allein?«
    »Ja. Mein Mann ist vor fünf Jahren an Krebs gestorben. Jochen ist ein Jahr später mit einem Freund zusammengezogen.«
    »Können Sie mir den Namen sagen?«
    »Bernd Rollert. War ein netter Junge.«
    Susanne notierte sich den Namen. »Wohnt Bernd Rollert immer noch in Stuttgart?«
    »Kann sein. Wohlfahrtstraße sechsundzwanzig. Das ist da, wo er mit Jochen gewohnt hat.«
    »Gut. – Wovon leben Sie, Frau Umlauf?«
    »Ich bin Altenpflegerin. Und Jochen

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