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Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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ihrer Mutter sicher, wenn sie die Tablette einwarf und schluckte, während sie den Kopf in den Nacken schleuderte.
    Melanie hatte keinen festen Freund, sondern präsentierte alle drei bis vier Wochen einen neuen Favoriten, den sie »unglaublich süß« fand. Susanne kaufte ihr Kondome, redete sich den Mund fusselig über die Gefährlichkeit von Aids und erntete als Kommentar von Melanie nur entnervtes Stöh nen und verdrehte Augen.
    Und siedend heiß wurde ihr klar, dass sie nicht den blassesten Schimmer hatte, mit wem ihre Tochter ins Bett stieg. Manchmal versuchte sie sich den Akt vorzustellen, aber es war fast unmöglich. Allein der Gedanke daran war absurd und beängstigend zugleich. Also verdrängte sie ihn wieder.
    Beim Blick auf die Leiche hatte sie kurz gedacht: Gott sei Dank habe ich keinen Sohn, aber wenn sie ganz ehrlich war, konnte sie nicht davon ausgehen, dass ihre Tochter romantisch und unschuldig unter der Bettdecke kuschelte. Wer weiß, welche Spielarten sie schon ausprobiert hatte, und auch bei ihr bestand die Gefahr, dass sie irgendwann einmal an den Falschen geriet, der ihr die Luft zum Leben nahm.
    Susanne schüttelte sich. Obwohl es ein warmer Tag war, fröstelte sie.
    Kurz vor dem Präsidium drehte sie um und beschloss, noch einmal kurz nach Hause zu fahren. Nur auf einen Kaffee.
    Sie hatte unglaubliche Sehnsucht danach, Melanie in den Arm zu nehmen, um sich zu vergewissern, dass alles gut war und gut bleiben würde.

8
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    Matthias war am Montagmorgen bereits um acht aufgestanden, um dabei zu sein, wenn seine Mutter in die Reha verlegt wurde. Mit einer Computertomografie war eindeutig festgestellt worden, dass sie einen Gehirninfarkt erlitten hatte, der einige Teile des Gehirns zerstört hatte. Dennoch war es möglich, dass andere Teile des Gehirns lernten, die eine oder andere Funktion mit zu übernehmen. Eine Besserung war langfristig also durchaus denkbar.
    Henriette war nur eine Woche in der Klinik geblieben und hatte hier im Sanatorium ein Einzelzimmer bekommen, das sich von einem gewöhnlichen Krankenhauszimmer kaum un terschied. Klein und blass saß sie in einem Rollstuhl am Fenster und blickte hinaus in den Park, aber Matthias war sich nicht sicher, ob sie überhaupt etwas sah, überhaupt etwas wahrnahm.
    »Wie geht’s dir, Mama?«
    Fast bildete er sich ein, sie hätte kaum merklich genickt.
    Laufen konnte sie nicht, sprechen auch nicht, und ihm war nicht klar, ob sie überhaupt in der Lage war, den Rollstuhl vorwärtszurollen. Sie bewegte sich ja gar nicht.
    Er nahm ihre Hand, streichelte ihre Finger, aber nichts passierte. Auch einen leichten Händedruck erwiderte sie nicht.
    Unschlüssig stand er im Zimmer herum und wusste nichts mit ihr und nichts mit sich anzufangen. Verlorene Zeit. Was sollte er mit ihr machen, wenn sie nicht reagierte? Vielleicht war sie in einer ganz anderen Welt, und seine Bemühungen waren letztendlich alle für die Katz. Mit Grausen dachte er daran, dass er sie jetzt regelmäßig besuchen musste. Erst die lange Fahrt und dann das Rumstehen in diesem Zimmer. Was für ein Zeitaufwand und völlig ineffektiv. Sie konnte ja nicht mit ihm reden, ihm nicht helfen, ihm keinen Rat geben, sie saß nur da wie tot.
    Für Matthias war ihr Zustand schlimmer als tot, denn obwohl sie kaum noch vorhanden war, nahm sie ihn in die Pflicht.
    Was für eine grässliche Situation! Und je mehr er darüber nachdachte, umso wütender wurde er.
    »Tschüss, Mama«, sagte er schließlich und strich ihr übers Haar. »Lass es dir gut gehen, ich komme bald wieder.«
    Sie sah ihn noch nicht einmal an, und er floh aus dem Zimmer.
    Auf dem Flur sprach er eine Pflegerin an, die mit einem Wäschewagen unterwegs war.
    »Was passiert jetzt mit meiner Mutter?«
    »Wie heißt sie?«
    »Henriette von Steinfeld. Zimmer 4a.«
    »Ah ja. Nun, Sie müssen Geduld haben. Die Sprach- und Physiotherapeuten werden sich alle erdenkliche Mühe geben und mit ihr üben, aber erst in ein paar Wochen werden wir wissen, ob eventuell verloren gegangene Funktionen wieder aktiviert werden können. Doch darüber und über alles Weitere sprechen Sie wohl besser mit Dr. Born.«
    Er hatte keine Lust, jetzt auf einen Arzt zu warten, um vielleicht fünf Minuten mit ihm zu reden. Er wollte nur noch weg.
    »Sie hat eine Klingel auf dem Schoß. Aber ich weiß nicht, ob sie auch in der Lage ist, zu drücken, wenn sie irgendetwas braucht.«
    »Machen Sie sich keine Sorgen. Wir schauen regelmäßig nach ihr.«
    »Danke,

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