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Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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ahnungslos und abgeschnitten zu sein? Konnte ein normaler Mensch sich das überhaupt vorstellen? Ich stierte auf seine Butterbrotdose mit dem Elmer-Fudd-Aufdruck und versuchte mich von allem zu lösen, was ich darüber wusste: Elmers Probleme, den Buchstaben »r« auszusprechen oder dass er ständig hinter einem kleinen und sehr viel berühmteren Hasen her war. Ich versuchte, eine bloße Zeich nung darin zu sehen, doch war es mir unmöglich, die Figur von ihrem Filmruhm zu trennen.
    Eines Tages war einer meiner Mitschüler, der William hieß, im Begriff, eine falsche Antwort an die Tafel zu schreiben. Unsere Lehrerin ruderte mit den Armen und sagte: »Achtung Will. Gefahr. Gefahr« Sie gab ihrer Stimme einen blechernen, monotonen Klang, und wir alle lachten, weil wir wussten, dass sie einen Roboter aus einer Fernsehserie über eine Familie imitierte, die irgendwo im Weltall lebte. Die Tomkeys hingegen hätten es für einen Herzanfall gehalten. Ich hatte das Gefühl, dass sie einen Führer brauchten, jemanden, der sie durch einen ganz normalen Tag lotste und ih nen alle die Dinge erklärte, die sie nicht verstehen konnten.
    Ich h ätte die Aufgabe an Wochenenden übernehmen können, doch hätte eine nähere Bekanntschaft ihnen ihr Geheimnis genommen und mich oben drein um das gute Gefühl gebracht, sie bemitleiden zu können. Also hielt ich mich von ihnen fern.
    Anfang Oktober kauften die Tomkeys ein Boot, zur großen Erleichte rung aller, jedoch ganz besonders der Freundin meiner Mutter, die feststell te, der Motor sei eindeutig secondhand. Wie wir erfuhren, hatte Mr. Tomkeys Schwiegervater ein Haus am See und der Familie angeboten, es jederzeit zu benutzen. Das erklärte, wo sie übers Wochenende steckten, doch machte es ihre Abwesenheit keineswegs erträglicher. Mir kam es so vor, als hätte man meine Lieblingsserie abgesetzt.
    Halloween fiel in diesem Jahr auf einen Samstag, und als unsere Mutter endlich mit uns ins Geschäft ging, waren alle guten Kostüme bereits weg. Meine Schwestern verkleideten sich als Hexen, und ich ging als Landstreicher. Ich wollte in meiner Verkleidung bei den Tomkeys klingeln, doch waren sie zum See gefahren, und das Haus war dunkel. Auf der Veranda vor dem Haus stand aber eine Kaffeedose mit Weingummis und daneben ein Stück Pappe mit der Aufschrift: ANDERE WOLLEN AUCH NOCH WAS. Von allen denkbaren Halloweensüßigkeiten waren lose Weingummis so ziemlich das Allerletzte. Die vielen Weingummis, die im Wassernapf für den Hund trieben, waren dafür der eindeutige Beweis. Es war abstoßend, sich vorzustellen, dass ein Weingummi im Magen genau so aussah, und es war beleidigend, gesagt zu bekommen, man solle nicht zu viel von etwas nehmen, das ohnehin niemand wollte. »Für wen halten diese Tomkeys sich eigentlich?«, sagte meine Schwester Lisa.
    Am Abend nach Halloween saßen wir alle vor dem Fernseher, als es an der Tür klingelte. Da wir nur selten Besuch hatten, blieb allein mein Vater sitzen, während meine Mutter, meine Schwestern und ich im Pulk nach un ten stürmten, die Haustür öffneten und die komplette Familie Tomkey auf unserer Veranda vorfanden. Die Eltern sahen so aus wie immer, doch der Junge und das Mädchen waren verkleidet – sie als Ballerina und er als eine Art Nagetier mit Plüschohren und einem Schwanz, der aussah wie ein Stück Verlängerungskabel. Anscheinend hatten sie den Abend zuvor ganz allein am See verbracht und Halloween verpasst. »Also, wir dachten, dann kommen wir eben heute vorbei, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, sagte Mr. Tomkey.
    Ich erklärte mir ihr Verhalten damit, dass sie keinen Fernseher hatten, andererseits lernte man auch nicht alles durch das Fernsehen. Am 31. Oktober von Haus zu Haus zu gehen und um Süßigkeiten zu bitten, nannte man Halloweenstreich, aber am 1. November um Süßigkeiten zu bitten hieß betteln, und das mochten die Leute nicht. Das gehörte zu den Dingen, die einem das Leben selbst beibrachte, und es ärgerte mich, dass die Tomkeys dies nicht begriffen.
    »Aber natürlich macht es uns nichts aus«, sagte meine Mutter. »Kinder, wie wär’s, ... wenn ihr... die Süßigkeiten holt.«
    »Aber wir haben keine mehr«, sagte meine Schwester Gretchen. »Du hast gestern Abend alles verteilt.«
    »Nicht die Süßigkeiten«, sagte meine Mutter. »Die anderen. Wie wär’s, wenn ihr die holt?«
    »Du meinst unsere Süßigkeiten?«, fragte Lisa. »Die w ir uns verdient ha ben?«
    Genau davon redete meine Mutter, nur wollte sie es vor

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