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Nachts wenn der Teufel kam

Nachts wenn der Teufel kam

Titel: Nachts wenn der Teufel kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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niedergelegt.
    ›Es muß ein Verbrechen angenommen werden‹, heißt es im Schlußbericht, ›jedoch ist die Möglichkeit eines Selbstmordes nicht ganz auszuschließen.‹
    Die Sonderkommission fährt in den Staatswald bei Erlangen. Ohne eine Sekunde zu zögern, geht Lüdke auf die Mordstelle zu.
    »Na klar«, sagt er, »da war ick schon mal. Muß aber schon lange her sein.«
    »Wie lange?« fragt Kriminalkommissar Franz.
    »Det weeß ick nich. Vielleicht fünf oder zehn Jahre. Ick hab' uff se jewartet. Und denn hab' ick det jenauso jemacht wie mit de anderen ooch.«
    »Und dann bist du getürmt?«
    »Jenau det ha' ick jemacht«, entgegnet der Mörder.
    »Pass mal auf«, fährt Kriminalkommissar Franz mit der Vernehmung fort, »bist du gleich weggegangen oder …«
    »Ick bin jleich wegjeloofen.«
    Der junge Beamte rekonstruiert, wie die Tote gelegen hat; er faltet die Hände.
    »Ach so«, entgegnet Bruno, »aber det hab' ick doch öfters jemacht. Det war nämlich sehr wichtig.«
    »Wieso?«
    »Na, wissen Se, wenn man det mit de Hände von de Toten so macht, denn kann eenem nischt mehr passieren. Dann tun se eenem nischt mehr.«
    Dieser seltsame Aberglaube Brunos führt zur Aufklärung weiterer Verbrechen. Kriminalkommissar Franz kann aus der Masse der bei seiner Dienststelle eingehenden ungeklärten Fälle fünf Morde unter die Lupe nehmen – unter dem Aspekt der gefalteten Hände.
    Die Ermittlungen stehen jetzt vor dem Abschluss. Franz müßte noch eine Reise nach Ostdeutschland machen – hier sind noch über zwanzig Mordfälle zu klären. Aber das Reichssicherheitshauptamt untersagt es. So macht sich der Kriminalkommissar daran, den Schluss-Strich herzustellen – unter Hinweis darauf, daß Bruno in der Gegend von Breslau, von Glogau und in Ostpreußen mit Sicherheit weitere Mordtaten verübt hat.
    Mittlerweile tauchte bei den höchsten SS und Polizeiinstanzen die Frage auf: Was soll man mit Bruno Lüdke machen? Ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren, das mit Sicherheit Justizmorde an den Tag brächte, das der Bevölkerung zeigen würde, wie in einem überorganisierten Polizeistaat ein Schwachsinniger jahrelang die ungeheuerlichsten Verbrechen verüben kann, soll unter allen Umständen vermieden werden.
    Die Meinungen im Reichssicherheitshauptamt sind geteilt. Es wird ja eine ›Lex Lüdke‹ vorbereitet, ein Gesetz, das die generelle Ausrottung aller Schwachsinnigen – in der Irrenanstalt Hadamar hatte man mit der so genannten Euthanasie längst begonnen – legalisieren soll. Einige Beamte der obersten SS-Zentrale vertreten die Forderung, Bruno Lüdke bis zum Kriegsende zu ›konservieren‹ – das heißt, am Leben zu lassen –, um nach dem Krieg durch das lebende Exemplar die ›Lex Lüdke‹ zu popularisieren.
    Das Propagandaministerium, das sich von Anfang an eingeschaltet hat, fordert, Lüdke ohne Prozess zu liquidieren, die Akten zu verbrennen und alle Beamten, die von dem Fall wissen, noch einmal zur Schweigepflicht zu ermahnen.
    Während Bruno Lüdke von den Mitgliedern der Sonderkommission mit kalten Kartoffeln bei guter Laune gehalten wird, während man ihm immer wieder versichert, daß ihm nichts passieren würde, verhandeln Unberufene hinter verschlossenen Türen über sein Schicksal.
    Unvorstellbare Visionen quälen Kriminalkommissar Franz, als er nach fast einjährigen Ermittlungen daran geht, die Bilanz der Verbrechen Bruno Lüdkes aufzuzeichnen. Auf 25 Seiten zusammengedrängt, entsteht ein Dokument, wie es in der Kriminalgeschichte kein zweites gibt. Das Original und zwei Kopien sind laut Anweisung des Reichskriminalpolizeiamts in den Panzerschränken für Geheimdokumente aufzubewahren.
    Nach der Zusammenstellung hat der Trottel von Köpenick 49 Männer und Frauen mit Sicherheit ermordet, vier Frauen kamen um Haaresbreite am Tod vorbei; 31 Mordtaten, vorwiegend in den Ostgebieten begangen, dürfen aus ›Sicherheitsgründen‹ nicht weiter verfolgt werden. Die meisten davon gehen zweifellos auf Bruno Lüdkes Konto.
    Wie viele Unschuldige in die Justizmaschine geraten sind, wie viele Menschen jahrelang hinter Gittern die Wahnsinnstaten des Massenmörders unschuldig büßen mussten, wie viele Menschen vielleicht unter dem Fallbeil an Stelle von Bruno Lüdke gestorben sind – daran wagt der einsame Beamte nicht einmal zu denken.
    Wochenlang kämpft er darum, auch in dieses Dunkel eindringen zu dürfen. Aber man verwehrt es ihm. Man hatte höheren Ortes genug von Bruno Lüdke und

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