Nachts wenn der Teufel kam
junge Paar hätte keine materiellen Sorgen, wenn man Fritz Bauer nicht für einen Mörder hielte. Wenn auch nur ein einziger Gast die Wirtschaft beträte. Wenn auch nur ein paar Dorfbewohner, außer seinen Angehörigen, von seiner Unschuld überzeugt wären.
Der Stiefvater stirbt. Fritz Bauer hat die Wirtschaft jetzt schon zwei Jahre, aber er verdient nicht einmal die Unkosten für Strom und Heizung. Selten verirrt sich ein Gast zu ihm. Höchstens ein paar Fremde trinken ein Glas Bier; sie werden sofort aufgeklärt, daß sie dadurch einen Mörder unterstützen. Wenn zu dem Wirtshaus nicht ein bisschen Landwirtschaft gehören würde, müßte Fritz Bauer verhungern.
Und dann kommen die Kinder. Elvira zuerst, dann Käthe und zuletzt Erika. Drei Mädchen. Drei Mädchen, auf denen der Fluch des Vaters lastet.
Am ersten Schultag kommt Elvira weinend nach Hause. Mitschüler haben sie als ›Mörderkind‹ beschimpft.
Der sonst so ruhige Mann ist außer sich. Soweit die Demütigungen nur ihn betrafen, hielt er still. Wenn man aber auch schon seine Kinder verunglimpft, dann ist es aus. Die nächsten Beleidigungen ahndet er mit Strafanzeige. Tausend Mark wird ihn der Prozess kosten, bei dem praktisch nichts herauskommt. Er gewinnt ihn zwar, aber die Dorfbewohner bezeichnen seine Kinder weiter als ›Mörderbrut‹.
Bauer sieht eines Tages vom Fenster aus, wie wieder einmal eines seiner Kinder beschimpft wird. Außer sich vor Zorn, läuft er auf die Straße und verprügelt einen zwölfjährigen Buben. Eine Viertelstunde später ist schon die Polizei bei ihm.
Wird er abgeholt?
Dieses Mal nicht. Strafanzeige wegen Körperverletzung.
»Ich kann das nicht mehr mit ansehen«, erklärt er dem Richter. »Versetzen Sie sich in meine Lage. Was soll aus meinen Kindern werden? Wann wird der Fluch endlich von mir genommen?«
Erregung überwältigt den schmächtigen Angeklagten.
»Sollen sie doch wenigstens meine Kinder in Ruhe lassen!« schreit er. »Die können doch wirklich nichts dafür!«
Der Gerichtssaal ist bis zum letzten Platz gefüllt. Die Dorfbewohner sitzen dichtgedrängt nebeneinander. Vielleicht läuft es dem einen oder dem anderen kalt über den Rücken, wenn er jetzt den verzweifelten Mann auf der Anklagebank erlebt – die meisten aber denken: alles Theater, nichts wie Theater. Ein Mörder hat nicht zu heiraten. Ein Mörder hat keine Kinder zu zeugen, dann können die Kinder auch nicht misshandelt werden. Schließlich trägt die Verantwortung auch hierfür letztlich der Vater, der Täter.
Der Richter stellt in seinem Urteil fest, daß der Angeklagte in Notwehr gehandelt habe, und spricht ihn frei. Gleichzeitig ermahnt er ihn, sich künftig beherrschter zu benehmen.
Frau Anna erträgt alles tapfer. Oft sitzt sie in einem Winkel und weint. Aber immer ist sie bestrebt, ihren Mann und die Kinder die Tränen nicht sehen zu lassen. Meistens kann sie das auch vermeiden.
Wenn nur diese verdammten Besuche nicht wären!
Besuche der Polizei. Der Kriminalpolizei. Die Beamten kommen so oft in das Dorf, daß sie schon jeder kennt. Und sie stellen immer wieder dieselben sinnlosen Fragen. Ohne Gehässigkeit, ohne Drängen zwar, aber mit dieser entsetzlichen Gleichgültigkeit.
»Schlägt Sie Ihr Mann? Brüllt er Sie an?«
»Nein«, erwidert Frau Anna. »Wie oft soll ich Ihnen das noch sagen. Es hat noch nie ein böses Wort gegeben in unserer Ehe. Mein Mann ist der beste Mensch der Welt. Glauben Sie mir doch endlich.«
Unbeirrt von solchen Beteuerungen fahren die Beamten mit ihrer Fragerei fort: »Wie ist er zu den Kindern? Hat er sie schon einmal geschlagen? Schreit er sie an? Ist er jähzornig? Gehen ihm manchmal die Nerven durch?«
»Er ist nicht jähzornig. Er ist immer beherrscht. Manchmal ist er geradezu unheimlich beherrscht. Vor allem dann, wenn ich selbst nicht mehr ein noch aus weiß.«
Die Frau setzt sich hin und weint. Die Kriminalbeamten haben es plötzlich eilig mit dem Gehen.
Aber sie haben es auch eilig mit dem Wiederkommen.
Sie kommen immer wieder. Und sie stellen immer wieder die gleichen stumpfsinnigen Fragen. Und Frau Anna Bauer muß immer wieder die gleichen Antworten unterschreiben.
Neun Jahre nach dem Verbrechen am Wassergraben von Grüneberg bricht der Krieg aus. Insgeheim hofft Fritz Bauer, daß er eingezogen wird. Aber man holt ihn nicht. Er ist wehrunwürdig. Daß andere, gleichaltrige Dorfbewohner die Uniform anziehen müssen, steigert nur noch den Hass gegen ihn. Dieser Hass tobt sich in
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