Nachts
zurück. »Ich will damit sagen, ICH KANN
NICHT!«
Der rote Punkt glitt nach unten auf seinen Kontakt zu.
Kevin stand mit gespreizten Beinen da, bückte sich über die Kamera^die sie gerade im LaVerdiere’s mitgenommen hatten, und die Schachtel der Kamera lag zu seinen Füßen. Es war ihm gelungen, den Knopf zu drücken, der das Vorderteil der Kamera an den Scharnieren aufklappte und den breiten Filmeinlegeschlitz freigab. Er versuchte, einen Film hineinzudrücken, doch dieser leistete störrisch Widerstand es war, als wäre diese Kamera aus Sympathie für ihren Bruder ebenfalls zum Verräter geworden.
Pop brüllte wieder, aber diesmal keine Worte, nur einen unartikulierten Schmerzens und Angstschrei. Kevin roch heißes Plastik und bratendes Fleisch. Er schaute auf und stellte fest, daß die Polaroid schmolz, wahrhaftig in den starren Händen des alten Mannes schmolz. Ihr eckiger, kastenförmiger Umriß gruppierte sich zu einer seltsam geduckten Form um. Irgendwie war das Glas von Bildsucher und Linse ebenfalls zu Plastik geworden.
Statt zu bersten und aus dem zunehmend unförmigeren Gehäuse der Kamera zu springen, zogen sie sich in die Länge wie Karamel und wurden zu einem Paar grotesker Augen wie in einer Tragö
dienmaske.
Dunkles Plastik, das heiß und zähflüsig wie warmes Wachs war, rann in dicken Strömen über Pops Hände und fraß Rinnen ins Fleisch. Das Plastik dichtete ab, was es versengte, aber Kevin sah trotzdem Blut aus diesen Rinnen in Pops Haut fließen, bis es auf den Tisch tropfte, wo die rauchenden Tröpfchen wie heißes Fett zischten.
»Dein Film ist immer noch eingepackt!« bellte Kevins Vater hinter ihm und brach Kevins Lähmung.
»Pack ihn aus! Gib her!«
Sein Vater griff mit der Hand um ihn herum und rempelte ihn so fest an, daß Kevin beinahe umkippte.
Mr. Delevan schnappte die Filmpackung mit ihrer zähen Papierhülle und riß an einem Ende.
Er holte den Film heraus.
»HELFT MIR!« kreischte Pop, die letzten zusammenhängenden Worte, die beide ihn aussprechen hörten.
»Schnell!« schrie sein Vater und drückte ihm den ausgepackten Film in die Hand. »Schnell!«
Das Zischen von heißem Fleisch. Das Plätschern von heißem Blut auf dem Schreibtisch. Ein Ausläufer des heißen Plastiks strömte wie ein Armreif über das linke Handgelenk und zerfraß die Adern dicht unter der Haut, so daß das Blut wie aus einem brüchigen Schlauch spritzte, der erst an verschiedenen Stellen leck geworden war, nun aber unter dem beharrlichen Druck nach und nach zerfiel.
Pop heulte wie ein Tier.
Kevin versuchte wieder, den Film einzulegen, und schrie
»Scheiße!«, als es wieder nicht klappte.
»Verkehrt herum!« blockte Mr. Delevan. Er versuchte, Kevin die Kamera zu entreißen, aber Kevin wich zurück, so daß sein Vater einen Fetzen Hemd in der Hand hatte, aber mehr nicht. Er riß den Film heraus, der einen Augenblick auf seinen Fingerspitzen tanzte und fast auf den Boden fiel der sich, das spürte Kevin, förmlich danach sehnte, zur Faust zu werden und den Film zu zerschmettern, sollte er wirklich fallen.
Dann hatte er ihn wieder, drehte ihn herum, legte ihn ein und klappte das Vorderteil der Kamera, das schlapp hinabhing wie ein Tier mit gebrochenem Hals, fest in den Scharnieren zu.
Pop heulte wieder und
BLITZ!
I
Kapitel Zweiundzwanzig
Diesmal war es, als würden sie im Zentrum einer Sonne stehen, die mit einem einzigen, kalten Lichtblitz zur Supernova wird. Kevin war zumute, als wäre ihm sein Schatten buchstäblich von den Fersen gehämmert und in die Wand gedonnert worden. Vielleicht stimmte das sogar teilweise, denn die Wand hinter ihm war auf der Stelle vom Blitz versengt und von Tausenden irren Rissen durchzogen, abgesehen von der Stelle, auf die sein Schatten fiel. Dort war sein Umriß so deutlich wie ein Scherenschnitt abgebildet, ein Arm war noch angewinkelt und so erstarrt, während der tatsächliche Arm, der den Schatten geworfen hatte, das erstarrte Ebenbild hinter sich ließ und in die Höhe schnellte, um die neue Kamera vors Gesicht zu halten.
Der obere Teil der Kamera in Pops Händen riß sich mit einem saftigen Geräusch los, als würde sich ein sehr dicker Mann räuspern. Der SunHund grollte, und diesmal war das Baßdröhnen laut genug, deutlich genug, nahe genug, daß das Glas in den Uhren und Spiegeln und Bildrahmen in flüchtigen Kristallbögen von erstaunlicher Schönheit auf den Boden gerülpst wurde.
Diesmal stöhnte oder surrte die Kamera nicht; das
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