Nachtwandler (German Edition)
Enttäuschung ist ihm deutlich anzusehen. Dann erhebt er sich. „Ich geh dann wohl besser wieder runter, oder?“
„Es tut mir leid“, antworte ich. „Ich … heute ist einfach nicht mein Tag.“ Ich seufze und fahre mir mit beiden Händen übers Gesicht.
Ich bleibe noch einige Minuten in der Wohnung, doch dann gehe ich ebenfalls wieder nach unten, denn hier oben fällt mir sonst die Decke auf den Kopf. Ich stelle mich an meinen Stammplatz und blicke, wie so oft, auf die tanzende Menschenmenge hinab. Dann jedoch stutze ich. Zuerst denke ich, dass meine Augen mir einen Streich spielen, doch je länger ich hinschaue, desto deutlicher erkenne ich Felix, der seinen gut einen halben Kopf kleineren Tanzpartner fast auffrisst. Mein Herzschlag beschleunigt sich, gleichzeitig macht sich ein dicker Kloß in meinem Bauch breit. Er scheint mich ja ziemlich schnell vergessen zu haben. Ich kann nicht sagen, was mich mehr stört: dass ich Felix mit einem anderen Mann sehe oder dass es mir so viel ausmacht. Wie auch immer, wenn ich den beiden da unten zusehe kommt mir die Galle hoch. Ich kann dieses Scheiß-Gefühl nicht ausstehen! Meine Kiefer mahlen aufeinander und das Herz schlägt mir bis zum Hals.
„Wolken im Paradies?“, spottet Daniel neben mir. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass er sich zu mir gesellt hat.
„Quatsch“, antworte ich harscher als beabsichtigt.
„Du solltest dich mal im Spiegel ansehen. Du siehst aus, als ob du jeden Augenblick explodieren würdest“, informiert er mich.
„Was will der mit dieser halben Portion?“, frage ich und deute mit dem Kopf in Felix‘ Richtung. Er hat beide Hände auf den Hintern seines Gegenübers gelegt und drückt ihn an sich. Sie fressen sich immer noch fast gegenseitig auf. Ich könnte schwören, dass die morgen Muskelkater in der Zunge haben - beide!
„Eifersüchtig?“ Daniel grinst von einem Ohr bis zum anderen.
„Ich bin doch nicht eifersüchtig!“, streite ich vehement ab. „Das war ein Fick, sonst nichts“, beharre ich, drehe mich um und lehne mich mit dem Hintern ans Geländer. Mir ist übel. Ich kann den Anblick der beiden einfach nicht länger ertragen.
„Leo, ich bin‘s, Daniel!“, er fuchtelt mit einer Hand vor meinem Gesicht herum. „Mir musst du nichts vormachen.“
„Was willst du eigentlich von mir? Ja, wir hatten Sex, und ja, es war geil, aber das war’s auch schon!“
„Denkst du, er sieht das genauso?“
„Mir doch scheißegal, wie er das sieht.“ Ich verschränke die Arme vor meiner Brust. Ich weiß, dass ich vielleicht gerade trotzig wirke, aber ich kann es nicht ändern. Außerdem macht der da unten mit diesem Twink rum, da kann ihm unser kleines Tête-à-tête nicht sonderlich viel bedeutet haben. Doch so soll es ja auch sein. Ein bisschen anonymer Sex und dann ‚Goodbye‘. Dass ich immer noch daran denke, liegt einfach nur daran, dass der Sex ungewöhnlich gut war und mir Daniel kurz vorher die Ohren mit diesem Beziehungsmist vollgeheult hat.
„Dann interessiert es dich vermutlich auch nicht, dass er in dem Moment auftauchte, als du mit Rolf nach oben verschwunden bist?“, will er wissen.
Überrascht blicke ich auf. „Hat er es mitbekommen?“
„Seinem Blick nach zu urteilen: ja“, antwortet Daniel.
„Wie … wie hat er denn geschaut?“ Ich weiß nicht warum, aber mir wird plötzlich ziemlich mulmig zumute. Es fühlt sich fast an wie ein schlechtes Gewissen, aber das ist natürlich totaler Unsinn.
„Dafür, dass dich das alles gar nicht interessiert, bist du ganz schön neugierig“, lacht Daniel.
Ich rolle übertrieben mit den Augen. „Jetzt sag schon!“
„Es schien ihm nicht zu gefallen.“
„Ja klar, deswegen macht er auch mit dem Typen da unten rum“, erwidere ich sarkastisch.
„Vielleicht gerade deswegen?“, schlägt Daniel vor.
Daniels Worte gehen mir noch ziemlich lange durch den Kopf, allerdings kann ich nicht beurteilen, ob er auch wirklich recht hat damit. Felix jedenfalls, würdigt mich keines Blickes. Ich bin verunsichert – das letzte Mal fühlte ich mich mit 16 so machtlos, als die Verwandlungen losgingen. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll … und das behagt mir gar nicht. Plötzlich verliere ich die beiden aus dem Blick. Hektisch suche ich die Tanzfläche ab, aber ich kann sie nicht entdecken. Nach gefühlten zwei Stunden bin ich fast so weit, den Darkroom zu stürmen und Felix aus diesen dürren Armen zu reißen. Diese Schmach bleibt mir zum Glück erspart, denn sie
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