Nachtwelt (German Edition)
die Fähre abgelegt hat, wird alles für ein großes Frühstück aufgetischt. Ein Mann hat sich vor der Hochzeitsgesellschaft aufgebaut und versucht sich Gehör zu verschaffen: „Entschuldigen Sie!“
Die Gruppe ist laut. Alle reden durcheinander, schieben Marmeladen hin und her und gießen sich gegenseitig Kaffee oder Tee ein.
Der Mann gibt nicht auf: „ENTSCHULDIGEN SIE!!! Dürfte ich einen Moment um ihre Aufmerksamkeit bitten!“
Langsam kehrt Ruhe ein und endlich kann der Mann sagen, was er sagen will: „Also, ich bin der Herr Schultz, mit tz. Das Brautpaar hat mich engagiert, um Sie den Tag über zu begleiten und den richtigen zeitlichen Ablauf zu garantieren. Das Brautpaar lädt Sie zu diesem Frühstück ein, wünscht Ihnen eine angenehme Überfahrt und einen guten Appetit. Ich werde zu gegebener Zeit wieder auf Sie zukommen, damit Sie pünktlich ihre Hochzeitsgarderobe anlegen können. Bis dahin viel Spaß.“
„Guck an. Mit Reiseleitung“, sagt Herr Buschke zu Mimi. „Der kommt zu gegebener Zeit wieder auf uns zu…. Der hat ein wenig einen Stock im Arsch, oder? Hochzeitsgarderobe anlegen. Ich komm’ auch ohne den pünktlich in meine Büx.“
Als Mimi satt ist, nimmt sie einen Pott Kaffee und geht auf eines der Außendecks. Sie steht an der Reling und schaut über das Wasser. Der Wind ist nicht mehr als eine leichte Brise. Für die Nordsee zu dieser Jahreszeit eher ungewöhnlich. Hoffentlich bleibt es auf der Insel so. Wettertechnisch kann man nicht mehr erwarten, denkt Mimi.
Sie hat ihre schmerzenden Rippen vergessen und hängt ihren Gedanken nach. Sie lässt die Jahre mit Petra Revue passieren. Sie haben nie gestritten. Sie haben einander immer aushalten können. Nie hat Mimi an der Freundschaft zu Petra gezweifelt – wahrscheinlich das einzige, woran sie in ihrem Leben nicht gezweifelt hat. Schnell wischt sie eine Träne von ihrer Wange. Heute ist nicht der Tag für Sentimentalität.
„So, Mimi, der Stock im Arsch hat gesagt, dass es Zeit für die Hochzeitsgarderobe ist.“
Mimi dreht sich zu Petras Vater und sagt anerkennend: „Mensch, Herr Buschke. Sie sehen super aus.“
Petras Vater trägt einen dunkelbraunen Anzug und ein cremefarbenes Hemd. Seine seidene Krawatte hat ein schönes Muster, in dem sich die Farben von Anzug und Hemd wieder finden. Im Vorbeigehen klopft sie Herrn Buschke auf die Schulter: „Respekt. Da müssen wir zwei heute noch ein Tänzchen wagen.“
„Petra sagt, du kannst nicht tanzen“, spottet Herr Buschke.
Mimi lächelt Herrn Buschke nachsichtig an und denkt: Unglaublich. Wem sie das wohl alles erzählt hat.
In einem der Waschräume zieht sich Mimi ihr schlichtes, ärmelloses Kleid, das ihr bis zu den Knien reicht, über. Seine Farbe – dunkelgrau. Manchmal schimmert es in einem zarten Grün. Zu dem Kleid trägt sie eine kurze, kastenförmige Jacke aus dünnem, dunkelgrünem Leder. Sie schlüpft in die zur Jacke passenden Ballerinas. Bei ihrer Größe von 157 cm würde sie lieber hochhackige Schuhe tragen. Aber auf der Hochzeitseinladung war vermerkt: … das Schuhwerk ist den Gegebenheiten der Insel anzupassen .
Noch bevor die Fähre anlegt, hat Herr Schultz (mit tz) von jedem der Gäste die Reisetaschen, Kleidersäcke und weitere Dinge, die nicht benötigt werden, eingesammelt. Irgendwo wird er sie lagern und die Sachen den jeweiligen Besitzern zur Heimreise wieder aushändigen.
„Also, organisieren kann der Stock. Fast ein wenig militärisch“, sagt Mimi, während sie neben Herrn Buschke wartet, dass die Fähre anlegt.
„Ja“, antwortet der, „aber blöd find’ ich den trotzdem.“
Langsam schiebt sich die Fähre an den für sie vorgesehenen Platz. Auf dem Parkplatz, vor den Anlegern, stehen vier Pferdefuhrwerke. Die Wagen haben dicke Gummireifen und sind höher als normale Kutschen. So können sie über den Strand und durch seichtes Wasser fahren.
Jede der Kutschen wird von zwei riesigen Friesen gezogen, in deren lange, schwarze Mähnen Blumen und kleine Glöckchen geflochten sind. In der Sonne schimmert das schwarze Fell der Pferde blau. Ihre Größe ist beeindruckend und ihre Gelassenheit hat etwas Beruhigendes.
Nach kurzer Zeit hat die Hochzeitsgesellschaft die einzelnen Wagen besetzt. Man sitzt sich auf langen Holzbänken, auf denen bunte Kissen für Rücken und Po verteilt sind, gegenüber.
Mit einem kleinen Ruck setzen sich die Kutschen in Bewegung. Dann fallen die Pferde in einen leichten Trab. Während
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