Nachtwesen - Die Vollstreckerin
hat. Heute hast du dir die Schatten Untertan gemacht und daher habe ich ein Geschenk für dich.“ Aus seiner Robentasche zog er ein paar schwarze Handschuhe und reichte sie ihr. Sie waren mit feinster Spitze besetzt und fühlten sich seidig auf ihrer Haut an, als sie sie überstreifte und bis zu den Ellenbogen hinauf zog.
„Danke, Kelmar.“ Ihre hellen Augen leuchteten vor Freude, als sie die Hände vor streckte, um sein Geschenk zu betrachten. „Werde ich sie jetzt immer tragen müssen?“
„Nicht doch.“ Er lachte leise. „Unseresgleichen kannst du nicht schaden. Doch den Menschen schon.“ Mit vielsagendem Blick deutete er hinter sich. „Seit heute.“ Kurz sah Kyrana zu der Frau hinüber, welche seltsam verdreht neben dem Sessel lag. Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf ihre sonst so ernsten Züge. „Ich werde sie später wegräumen“, versprach sie – und Kelmar nickte.
Kapitel 10
Es war eine jener Nächte, in denen der Mond hell am Himmel stand. Keine Wolke trübte seinen Schein, sodass die Gassen Nocryas gut beleuchtet waren. Allerlei Menschen tummelten sich noch zu später Stunde auf dem Marktplatz, denn Fahrendes Volk hatte seine Wagen dort im Kreis aufgestellt und bot bunt gemischten Zeitvertreib an. Mehrere Lagerfeuer brannten, in deren flackerndem Schein verschiedenste Darbietungen zum Verweilen einluden.
Ein verwegen aussehender Bursche jonglierte mit brennenden Fackeln, während ein Stück weiter eine spärlich bekleidete Tänzerin ihren Leib im Takt geschlagener Trommeln bewegte. Um den Hals trug sie eine Schlange, die sich züngelnd ihrem Tanz anpasste. Weiter hinten warfen Kinder unter anfeuerndem Gejohle ihrer Eltern mit kleinen, festen Bällen auf gestapelte Tonkrüge.
Der findige Wirt der ansässigen Taverne indes, hatte eiligst Tische und Bänke herbeigeschafft und schenkte dort emsig Met und Wein an Zuschauer aus, deren Münzen heute besonders locker saßen. Kyrana stand am Rande der Wagenburg in den Schatten und beobachtete das Treiben schon eine ganze Weile. Zu ihrer Zeit als Mensch hatte sie solche Ansammlungen stets gemieden. Doch das waren andere Zeiten. Wer könnte sie heutzutage noch erschrecken oder gar vertreiben?
Die Bürger Nocryas ganz gewiss nicht... Gerade als sie näher heran treten wollte, wurde ihr Blick von einer Dame angezogen, welche beim Wirt auf einer der Bänke saß und mit mehreren Kerlen schäkerte.
Sie saß kerzengerade, als wäre das grobe Holz der Bank ein Thron. Ihre übereinandergeschlagenen Beine umschmeichelte ein blütenweißes, seidig schimmerndes Gewand und über ihren hellen Umhang floss eine Flut blonder Locken bis zu ihrer Hüfte hinab. Leises, glockenhelles Lachen drang von ihren Lippen zu Kyrana herüber, derweil sie scheinbar vertraulich eine Hand auf den Arm eines der Burschen bettete. Niobe, Kelmars Gemahlin.
Kyrana verharrte und hob in wahrem Erstaunen eine weiße Augenbraue. Sie kannte Niobe nur wenig, hatte kaum je ein Wort mit ihr gewechselt. Jedoch war jene stets in sich gekehrt und traurig erschienen, wann immer sie ihr begegnete. Das Bild, was sich ihr hier gerade bot, stand in krassem Gegensatz dazu, sodass sie neugierig wurde. Womöglich könnte sie die unliebsame Konkurrentin dabei ertappen, wie sie Kelmar hinterging. Und das würde vielleicht eine bedeutende Wende in ihrem eigenen Leben bringen!
Mit einer entschlossenen Bewegung hob sie also die Kapuze ihres schwarzen Umhanges und legte sie über den Kopf, ließ das verräterisch weiße Haar darunter verschwinden und näherte sich dann lautlos auf blanken Sohlen dem Tisch etwas an. Gerade so, dass sie sich unauffällig an einen der Wagen anlehnen und lauschen konnte. Gesprächsfetzen waren zu vernehmen. Niobe schien sich als reiche Besitzerin eines Palastes am Rande der Stadt auszugeben, welche gerade in der Langeweile ihres Oberschichtmüßigganges zu versinken drohte.
Kyrana presste die Lippen zusammen, als einer der umsitzenden Kerle ohne große Scheu seine Hand auf den Oberschenkel von Kelmars Gattin legte. Wie konnte jene sich das gefallen lassen? Mehr noch. Wie konnte sie lachen und dem Burschen gar einen Kuss auf seine Wange geben?
Wie konnte sie sich erheben, sanft seine vorwitzige Hand ergreifen und ihn mit einem vielversprechenden Lächeln auf den Lippen abseits ziehen – einer Häuserecke entgegen? Wie konnte sie nur?! Kyrana zog ihre Kapuze weiter in die Stirn, senkte den Kopf und folgte den beiden in einigem Abstand. Am Rande des Hauses blieb sie stehen
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