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Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Titel: Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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dort hinein, ins Gymnasium«, sagte er und blieb stehen. »Ich bin Lehrer.«
    »Kann ich mitkommen?« fragte sie leise.
    Gregorius zögerte und fuhr sich mit dem Ärmel über die nasse Brille. »Jedenfalls ist es dort trocken«, sagte er schließlich.
    Sie gingen die Stufen hoch, Gregorius hielt ihr die Tür auf, und dann standen sie in der Halle, die besonders leer und still erschien, wenn die Stunden begonnen hatten. Ihre Mäntel tropften.
    »Warten Sie hier«, sagte Gregorius und ging zur Toilette, um ein Handtuch zu holen.
    Vor dem Spiegel trocknete er die Brille und wischte sich das Gesicht ab. Die Zahlen auf der Stirn waren noch immer zu erkennen. Er hielt einen Zipfel des Handtuchs unter das warme Wasser und wollte gerade zu reiben beginnen, als er mitten in der Bewegung innehielt . Das war der Augenblick, der alles entschied , dachte er, als er sich das Geschehen Stunden später in Erinnerung rief. Mit einemmal nämlich war ihm klar, daß er die Spur seiner Begegnung mit der rätselhaften Frau gar nicht auswischen wollte .
    Er stellte sich vor, wie er nachher mit einer Telefonnummer im Gesicht vor die Klasse treten würde, er, Mundus, der verläßlichste und berechenbarste Mensch in diesem Gebäude und vermutlich in der gesamten Geschichte der Schule, seit mehr als dreißig Jahren hier tätig, ohne Fehl und Tadel in seinem Beruf, eine Säule der Institution, ein bißchen langweilig vielleicht, aber geachtet und sogar drüben an der Hochschule gefürchtet wegen seines stupenden Wissens in den alten Sprachen, liebevoll verspottet von seinen Schülern, die ihn in jedem Jahrgang von neuem auf die Probe stellten, indem sie ihn mitten in der Nacht anriefen und nach der Konjektur für eine entlegene Stelle in einem alten Text fragten, nur um jedesmal aus dem Kopf eine ebenso trockene wie erschöpfende Auskunft zu bekommen, die einen kritischen Kommentar zu anderen möglichen Meinungen mit einschloß, alles aus einem Guß und mit einer Ruhe vorgetragen, die nicht die Spur von Ärger über die Störung erkennen ließ – Mundus eben, ein Mann mit einem unmöglich altmodischen, geradezu altertümlichen Vornamen, den man einfach abkürzen mußte und nicht anders als so abkürzen konnte , eine Abkürzung, die überdies das Wesen dieses Mannes ans Licht hob, wie kein anderes Wort es gekonnt hätte, denn was er als Philologe in sich herumtrug, war in der Tat nichts weniger als eine ganze Welt, oder vielmehr mehrere ganze Welten, da er neben jeder lateinischen und griechischen Textstelle auch jede hebräische im Kopf hatte, womit er schon manchen Lehrstuhlinhaber für das Alte Testament in Erstaunen versetzt hatte. Wenn ihr einen wahren Gelehrten sehen wollt , pflegte der Rektor zu sagen, wenn er ihn einer neuen Klasse vorstellte: Hier ist er .
    Und dieser Gelehrte, dachte Gregorius jetzt, dieser trockene Mann, der einigen nur aus toten Wörtern zu bestehen schien und der von Kollegen, die ihm seine Beliebtheit neideten, gehässig der Papyrus genannt wurde – dieser Gelehrte würde mit einer Telefonnummer den Raum betreten, die ihm eine verzweifelte, offenbar zwischen Wut und Liebe hin- und hergerissene Frau auf die Stirn gemalt hatte, eine Frau in einem roten Ledermantel und mit einem märchenhaft weichen, südländischen Tonfall, der wie ein endlos in die Länge gezogenes Flüstern klang, das einen schon durch das bloße Anhören zum Komplizen machte.
    Als Gregorius ihr das Handtuch gebracht hatte, klemmte die Frau einen Kamm zwischen die Zähne und frottierte mit dem Tuch das lange schwarze Haar, das in dem Mantelkragen lag wie in einer Schale. Der Hausmeister betrat die Halle und warf, als er Gregorius sah, einen verwunderten Blick auf die Uhr über dem Ausgang und dann auf seine Armbanduhr. Gregorius nickte ihm zu, wie er es immer tat. Eine Schülerin hastete an ihnen vorbei, drehte sich im Lauf zweimal um und lief weiter.
    »Ich unterrichte dort oben«, sagte Gregorius zu der Frau und zeigte durchs Fenster hinauf zu einem anderen Gebäudeteil. Sekunden verrannen. Er spürte seinen Herzschlag. »Wollen Sie mitkommen?«
    Gregorius konnte später nicht glauben, daß er das wirklich gesagt hatte; aber es mußte wohl so gewesen sein, denn auf einmal gingen sie nebeneinander auf das Klassenzimmer zu, er hörte das Quietschen seiner Gummisohlen auf dem Linoleum und das Klacken der Stiefeletten, wenn die Frau den Fuß aufsetzte.
    »Was ist Ihre Muttersprache?« hatte er sie vorhin gefragt.
    » Português «, hatte sie

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