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Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Titel: Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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Mantel nicht tropfte. Mit seinen schweren, unförmigen Schuhen ging er weiter und betrat den Speisesaal. Von den fürs Frühstück gedeckten Tischen waren nur zwei besetzt. Leise Töne eines Divertimentos von Mozart ließen den Eindruck entstehen, daß man sich fernab von allem befand, was laut, häßlich und bedrängend war. Gregorius zog den Mantel aus und setzte sich an einen Tisch am Fenster. Nein, sagte er dem Kellner in der hellbeigen Jacke, er sei kein Hotelgast. Er spürte, wie er gemustert wurde: der grobe Rollkragenpullover unter der abgetragenen Jacke mit den Ledereinsätzen an den Ellbogen; die ausgebeulte Kordhose; der spärliche Haarkranz um die mächtige Glatze; der graue Bart mit den weißen Sprenkeln, die ihn stets ein bißchen ungepflegt aussehen ließen. Als der Kellner mit der Bestellung gegangen war, prüfte Gregorius mit fahrigen Bewegungen, ob er genug Geld bei sich hatte. Dann stützte er die Ellbogen auf das gestärkte Tischtuch und blickte zur Brücke hinüber.
    Es war unsinnig zu hoffen, sie würde dort noch einmal auftauchen. Sie war über die Brücke zurückgegangen und danach in einer Altstadtgasse verschwunden. Er sah sie vor sich, wie sie hinten im Klassenzimmer gesessen und mit abwesendem Blick zum Fenster hinausgesehen hatte. Er sah, wie sie die weißen Hände ineinanderkrampfte. Und wieder sah er, wie ihr alabasternes Gesicht hinter dem Handtuch auftauchte, erschöpft und verletzlich. Português . Zögernd holte er das Notizbuch hervor und betrachtete die Telefonnummer. Der Kellner brachte das Frühstück mit Kannen aus Silber. Gregorius ließ den Kaffee kalt werden. Einmal stand er auf und ging auf das Telefon zu. Auf halbem Weg machte er kehrt und ging zum Tisch zurück. Er zahlte für das unberührte Frühstück und verließ das Hotel.
    Es war viele Jahre her, daß er in der spanischen Buchhandlung drüben am Hirschengraben gewesen war. Früher hatte er dort ab und zu ein Buch für Florence abgeholt, das sie für ihre Dissertation über San Juan de la Cruz gebraucht hatte. Im Bus hatte er manchmal darin geblättert, zu Hause jedoch hatte er die Bücher nie angerührt. Spanisch – das war ihr Territorium. Es war wie Latein und ganz anders als Latein, und das störte ihn. Es ging ihm gegen den Strich, daß Wörter, in denen das Lateinische so sehr gegenwärtig war, aus heutigen Mündern kamen – auf der Gasse, im Supermarkt, im Café. Daß sie gebraucht wurden, um Coca Cola zu bestellen, zu feilschen und zu fluchen. Er fand den Gedanken schwer erträglich und wischte die Vorstellung, wenn sie kam, schnell und heftig beiseite. Natürlich, auch die Römer hatten gefeilscht und geflucht. Aber das war etwas anderes. Er liebte die lateinischen Sätze, weil sie die Ruhe alles Vergangenen in sich trugen. Weil sie einen nicht zwangen, etwas dazu zu sagen. Weil sie Sprache jenseits des Geredes waren. Und weil sie in ihrer Unverrückbarkeit schön waren. Tote Sprachen – Leute, die so darüber redeten, hatten keine Ahnung, wirklich überhaupt keine Ahnung, und Gregorius konnte hart und unbeugsam sein in seiner Verachtung für sie. Wenn Florence am Telefon Spanisch sprach, schloß er die Tür. Das verletzte sie, und er konnte es ihr nicht erklären.
    In der Buchhandlung roch es wunderbar nach altem Leder und Staub. Der Besitzer, ein älterer Mann mit einer legendären Kenntnis der romanischen Sprachen, war im hinteren Raum beschäftigt. Der vordere Raum war leer bis auf eine junge Frau, allem Anschein nach eine Studentin. Sie saß in einer Ecke neben einem Tisch und las in einem dünnen Buch mit vergilbtem Einband. Gregorius wäre lieber allein gewesen. Das Gefühl, daß er hier nur deshalb stand, weil ihm die Melodie eines portugiesischen Worts nicht aus dem Sinn ging, und vielleicht auch deshalb, weil er nicht gewußt hatte, wohin er sonst gehen sollte, wäre ohne Zeugen leichter zu ertragen gewesen. Er ging die Regale entlang, ohne etwas zu sehen. Ab und zu stellte er die Brille schräg, um auf einem hohen Regal einen Titel besser lesen zu können; doch kaum hatte er ihn gelesen, war er auch schon wieder vergessen. Wie so oft war er mit seinen Gedanken allein, und sein Geist war nach außen hin versiegelt.
    Als die Tür aufging, drehte er sich schnell um, und an der Enttäuschung darüber, daß es der Postbote war, merkte er, daß er entgegen seinem Vorsatz und gegen alle Vernunft doch auf die Portugiesin wartete. Jetzt klappte die Studentin das Buch zu und erhob sich. Doch statt es auf

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