Nackte Angst
„ Es sind nur Zweitausend! — Es tut mir leid, Cecil, aber mehr Bargeld habe ich in der kurzen Zeit für dich nicht auftreiben können. Außerdem verstehe ich dich nicht.
— Warum soll mein Mann nichts davon erfahren? — Und willst du mir nicht sagen, wofür du plötzlich das Geld ..."
„Bitte, bitte, frage nicht, Ann! — Bitte, nicht! Ich habe dir am Telephon schon gesagt, dass ich schweigen muss und dir die Wahrheit nicht sagen darf. Ich müßte dich also belügen, wenn ich dir darauf antworten sollte ..."
Während die Worte der Sprecherin rauh und abgehackt klangen, liefen ihre Blicke gehetzt durch das nur schwach besuchte Café am Havenstock Hills. Aber keiner der Anwesenden achtete auf die zwei elegant gekleideten Damen, die direkt neben dem Eingang an einem Fenstertisch Platz genommen hatten.
So verschwand unbemerkt ein Bündel Banknoten in die echte Krokotasche der mit Cecil angesprochenen Frau. Mit fahrigen Fingern nestelte sie als dann ein kleines Spitzentaschentuch hervor und fuhr damit nervös über ihre Stirn. Es schien ihr sehr heiß geworden zu sein, denn immer und immer wieder betupfte sie ihr Gesicht.
Wortlos blickte Ann Martiever auf ihre Freundin. Ihr Gesicht verdunkelte sich zusehends:
,War das noch ihre Jugendgespielin, jenes lebenslustige, quecksilbrige Geschöpf, das sie nun schon über drei Jahrzehnte kannte? — Was war es, das diese in der vollen Blüte ihres Lebens stehende Schönheit innerhalb eines einzigen Jahres so welken ließ? Cecil wurde, genau wie sie selbst, in diesem Jahre Vierzig. Allein der Umstand, dass Cecil in ihrer nunmehr fünfzehnjährigen Ehe mit Poul Rheithway. keine Kinder besaß, konnte diese nachteilige Verwandlung an ihr nicht hervorgerufen haben.
Gewiß, in dieser Beziehung hatte das Sehnen Cecil Rheithways keine Befriedigung gefunden. Aber soweit sich Ann Martiever erinnern konnte, hatte es bisher für Cecil und Poul Rheithway noch niemals große finanzielle Schwierigkeiten gegeben. Wie jedes Geschäft hin und wieder Schwankungen unterworfen ist, so war auch das Bauunternehmen Rheithway von diesen normalen Ereignissen nicht verschont geblieben. Aber nie war es so weit gekommen, daß Poul Rheithway seiner Frau irgendeine Einschränkung auferlegen musste. Was aber war nun vorgefallen, daß Cecil sich so geheimnisvoll benahm? Und warum wandte sie sich nicht an ihren Mann, wenn sie Geld benötigte? Warum dieses alles?
Das verzweifelte Aussehen und die strikte Ablehnung Cecils, ihr den
Verwendungszweck des Geldes zu erklären, ließ den einzigen Schluß zu, daß Cecil sich in eine Sache eingelassen hatte, die ihren sonstigen Gewohnheiten entgegen stand und deren Bekanntwerden sie mit aller Macht geheim* zuhalten versuchte . . .
Dunkle Ahnungen stiegen in Ann Martiever auf: War ihre Freundin etwa in die Hände von Ausbeutern geraten? — Die Tatsache, daß sie sich nun schon Geld von ihr leihen mußte, sprach dafür, daß ihr persönliches Konto bereits erschöpft sein mußte. Aber wenn es so war, — Ann Martiever verstand ihre langjährige Freundin in dieser Beziehung nicht mehr, — warum wandte sich Cecil dann nicht an die einzig richtige Stelle, die derlei Sachen mit der größten Diskretion in ihre Hände nimmt: an die Polizei?
Je länger Ann Martiever ihre Freundin schwelgend beobachtete, um so mehr kam sie zu der Überzeugung, daß ihre anfängliche vage Vermutung eben doch traurige Wirklichkeit sein mußte.
Als nun Cecil Rheithway nach einem kurzen Blick auf die an der Stirnseite des Cafés hängende Uhr erschreckt zusammenfuhr und erregt nach der Bedienung Ausschau hielt, reifte in Ann Martiever ein Plan, von dem sie sich erhoffte, daß er etwas von dem Geheimnis lüfte, das ihre Freundin umgab.
Es war keine schadenfrohe Neugierde in ihr, sondern nur der innige Wunsch, Cecil Rheithway mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zur Seite zu stehen.
Der zu einem wahren Nervenbündel gewordenen Freundin mußte geholfen werden!
Wie,, das würde sich schon herausstellen, sobald sie in Erfahrung bringen konnte, welche schmutzigen Elemente Cecil peinigten.
Sofort begann Ann Martiever ihre plötzliche Eingebung in die Tat umzusetzen . . .
Noch einmal in das gequälte Geschöpf zu dringen, um vielleicht doch noch aus ihrem Munde zu erfahren, wofür sie das Geld benötigte, verwarf Ann Martiever beim Anblick der seit ihrem Zusammensein völlig Verstörten. — Und so legte sie nur, da die Bedienung immer noch nicht an ihrem Tisch erschienen
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