Nächstenliebe: Thriller (German Edition)
führt mich auf rechter Straße um seines Namens Willen. Und wenn ich auch wanderte im finsteren Todes Tal, so fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und dein Stab, die trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde; du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, mein Becher fließt über. Nur Güte und Gnade werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Haus des Herrn immerdar“, betete Ismail fanatisch immer wieder. Das war sein Lieblingspsalm aus der Bibel. Überhaupt sein Lieblingszitat.
Denn nichts spiegelte sein Leben besser wieder, als diese Passage. Und das sein Leben wieder einen Sinn bekam und ihm dieses Wunder vergönnt war, das hatte er einzig und allein seinem Kardinal zu verdanken.
Wie konnte er ihn nur so enttäuschen?
Er fand darauf keine adäquate Antwort. Es war sein Bauchgefühl, dieses starke innere Spüren, welches ihn zu dieser alten Frau geführt hatte. Ein Gefühl, welches ihn noch nie in diesem Maße enttäuscht hatte.
Es wäre ihm ein leichtes gewesen, den Deutschen am Flughafen das Buch zu entreißen. Doch jetzt musste er ihn erst einmal ausfindig machen. Und dann würde er das Buch in seine Gewalt bringen und es seinem Kardinal übergeben.
Er würde nicht wieder versagen.
Sie musste eine Hexe sein, irgendwie musste sie es geschafft haben, sich seiner Gedanken bemächtigt zu haben und ihn zu täuschen, dachte er wieder und wieder.
Aber dieses Gefühl, diese Aura, die er in ihrer Gegenwart spürte, sie war andererseits so echt gewesen, so harmonisch und voller Liebe und Mitgefühl, fast als wäre er der vollkommenen Güte und Vergebung begegnet. Seine Seele hatte sich ihr nackt und bloß gezeigt, und sie hatte ihm dennoch die Hand zur Vergebung gereicht.
„Nein!“, schrie er.
„Das ist Satan, der dich versucht, wie er auch den Herren versucht hat“, fuhr er fort und ließ die Rute voller Wut auf seine Brust niederschmettern. Der Schmerz zog durch Mark und Bein, aber er schrie nicht.
„Dieser süße Honig ist giftig. Alte Hexe. Du wirst mich nicht täuschen. Denn es ist unmöglich, was du meinem Herzen zeigtest“, sagte er voller Bitterkeit.
Wenn er ehrlich war, hätte er zu gern geglaubt was er da sah, als sie ihn berührte. Nichts wünschte er sich sehnlicher, als dem Herren nahe zu sein. Und für einen Augenblick hatte er das Gefühl, dass Jesus bei ihm war und er vor ihm niederkniete und dieser ihm zärtlich über den Kopf fuhr, ihm die Hand reichte und sagte: „In meinem Reich werden die Diener die Herren sein. Gehe diesen Weg nicht weiter, Ismail.“
Ismail hatte seine Hand gegriffen und stand auf. Ihre Blicke trafen sich. Jesus hatte Tränen in den Augen, wie auch Ismail das Wasser in den Augen stand.
Aber das, was er dachte zu sehen, konnte nur eine Illusion sein. Er war ein Diener Gottes. Nicht nur ein Diener, sondern der ihm treueste. Warum also sollte er diesen Weg nicht weiter gehen?
Weil sie eine Hexe war und ihn für ihre Zwecke manipulieren wollte. Alles andere machte keinen Sinn. Alles andere konnte keinen Sinn machen.
All diese Gedanken waren zu viel für ihn und um sie los zu werden, wiederholte er den Psalm 23 wieder und wieder. Und ohne Rücksicht auf seinen geschundenen Körper, ließ er die Rute auf Brust, Beine und Rücken niederschmettern. Denn sein Fleisch war schwach, aber seinem Geist durfte er diese Schwäche nicht gestatten.
Und je öfter er diesen Psalm wiederholte und sich dabei mit der Rute strafte, desto ruhiger wurde er. Und endlich verschwand die Wut.
Nach einiger Zeit hatte er sich wieder unter Kontrolle. Und er wusste wieder, was er tun musste. Den Deutschen finden und das Buch. Koste es, was es wolle. Er würde nicht noch einmal versagen, dass schwor er sich erneut. Das Buch würde in seinen Besitz gelangen, egal zu welchem Preis.
Der nächste Schritt, den er unternehmen musste, machte ihm Angst. Angst, weil die Botschaft, die dieser Schritt mit sich brachte, Enttäuschung auslösen würde. Enttäuschung für jemanden, den er mehr als jeden anderen Menschen verehrte. Jemanden, dem er sein Leben ohne zu zögern überlassen würde. Seinem Kardinal. Er wusste, dass er nach Italien musste, um seinem Kardinal die Botschaft zu bringen, dass er das Buch noch nicht in Händen hielt. Aber er würde ihm auch sagen, dass er weiß, wer es hat und dass er es schon sehr bald in Händen halten wird.
Wenn er ehrlich zu sich war, dann hätte er sich eingestanden, dass er sich ein wenig über
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