Nächstenliebe: Thriller (German Edition)
Hitlerregieme nicht die Stirn bot, sondern schwieg. Darüber schwieg und die Augen verschloss, als vor seinen Augen Millionen unschuldiger Menschen deportiert, gefoltert und vergast wurden. Wie konnte sie das dem Vatikan je verzeihen? Bis heute hatte sie sich geweigert, Pacelli Papst Pius XII zu nennen.
Seit dieser Tragödie dachte sie, endgültig mit dem Vatikan gebrochen zu haben. Denn immer wieder war sie auf die Reformbestrebungen neuer Päpste reingefallen. Und immer wieder war die Enttäuschung sehr groß.
Sie zog sich zurück und ignorierte jegliche Nachrichten, die den Papst und den Vatikan betrafen. Sie wollte nur noch in Frieden sterben. Denn zu lange war sie schon auf Erden und hatte zu viel Leid und Kummer gesehen und erlebt. Mehr, als ein Mensch je ertragen konnte.
Und dann, dann geschah das Unerwartete: Ein Papst klopfte an ihre bescheidene Hütte. Es war Johannes, den eine starke Aura umgab. Trotz ihrer Skepsis spürte sie, dass Jesus ihn zu ihr gesandt hatte. Mit einer Botschaft, die Hoffnung niemals aufzugeben.
Und jetzt war sie wieder Rom, die Stadt, die sie jedes Mal so sehr enttäuscht hatte. Aber sie wollte glauben, dass alles gut ausgehen würde. Dass ihrer Nichte und den anderen nichts geschehen würde. Dass sie das Buch wiederbeschaffen würden und sie dann beruhigt die letzten Momente ihres Lebens verbringen könnte. Sie wollte es so gerne glauben, doch tief in ihrem Herzen wusste sie, dass dies womöglich nur eine Hoffnung bleiben würde. Ismail war sehr gefährlich und dieser Kardinal, der über ihn befahl, noch mehr.
Großer Kummer bemächtigte sich Esthers. Sie legte sich aufs Bett und versuchte ein wenig Ruhe zu finden.
„Warum weinst du?“
„Ihretwegen.“
„Mach dir keine Sorgen. Sie ist eine junge, intelligente und schöne Frau. Sie wird ihren Weg gehen. Freue dich. Bald sind wir wieder eins“, flüsterte die Stimme wohlwollend und wischte ihr die Tränen zärtlich vom Gesicht.
Es war als würde eine leichte Windbrise über das Gesicht von Esther hinweg ziehen.
Sie erwachte. Es war spät in der Nacht. Sie fasste sich ans Gesicht. Es schien, dass sie geweint hatte.
Hatte sie dies geträumt? Lächelnd schloss sie die Augen.
„Bald“, flüsterte sie und schlief ein.
Kapitel 86
„Er ist gerade im Vatikan eingetroffen“, sagte Giovanni ganz aufgeregt.
Nicks Armbanduhr zeigte 13:36 Uhr an.
Er hatte schlecht geschlafen. Der Geheimtunnel durch die Katakomben war sehr unheimlich. Noch immer lagen entlang des Tunnels Totenköpfe und Menschenknochen verstreut auf dem Boden oder in den Mauereinschüben. Nick hatte eine regelrechte Gänsehaut.
Ihm war, als könne er nun die Worte Esthers geradezu tatsächlich sehen. Wie die ersten Christen Roms hier Unterschlupf gesucht hatten, ihre Toten beerdigten und ihren verbotenen Glauben lebten.
Aber er konnte auch sehen, wie römische Soldaten durch die Gänge marschierten und wahllos jeden ihm entgegen kommenden Christen abschlachteten, egal ob Mann, Frau oder Kind.
Dass die Christen nicht bewaffnet waren, stand gar nicht zur Diskussion. Die ganze Nacht begleiteten ihn die Schreie der Unschuldigen. Daher war er mehr als erleichtert, die Nacht vergangen zu wissen.
Die Wohnung von Pater Giovanni war sehr bescheiden. Aber er besaß zwei Zimmer, was wohl nicht unbedingt üblich war, wie er Nick berichtete.
Rebecca schlief in Pater Giovannis Bett, während Giovanni und Nick sich im Wohnzimmer auf der aufklappbaren Couch ihr Nachtquartier aufschlugen.
Rebecca hatte noch nachts versucht gehabt, herauszufinden, ob Ismail nicht doch schon einen Flug nach Rom gebucht hatte. Aber ihre Nachforschungen waren erfolglos. So blieb nur das Warten.
Und jetzt, jetzt war er da. Sie mussten reagieren. Sie wussten nicht, ob er das Buch noch in Händen hielt, oder dieses bereits dem Kardinal übergeben hatte.
Es war ja noch nicht mal sicher, ob es wirklich für den Kardinal bestimmt war. Vielleicht hatte ja Ismail mit dem Buch etwas ganz anderes vor.
Giovanni hatte Nick gegenüber seine Besorgnis darüber mitgeteilt, dass Ismail eventuell das Buch fanatischen Islamisten übergeben könnte. Schließlich sollte er ja mal ein Terrorist gewesen sein.
Nick konnte diese Sorge nicht nachvollziehen. Denn, wenn dem so wäre, würde er bestimmt nicht zurück in den Vatikan kommen.
Giovanni meinte daraufhin, dass vielleicht das Buch zum Sturz des Vatikans missbraucht werden könnte, indem der Islam sich den Vatikan zu Eigen machen könnte. Nick
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