Naios Begierde (Hüter der Elemente) (German Edition)
Aber uns ist noch etwas dazwischen gekommen. Die Küstenwache informierte uns vor zwei Stunden über den Fund eines unbekannten Geschöpfes am Strand. Wir haben es jetzt hier und es ist einfach unglaublich. Ich habe nie zuvor so etwas gesehen und es lebt. Es scheint krank, doch wir waren gerade dabei, es zu untersuchen, als ...“
„Was soll das heißen, ein unbekanntes Geschöpf? Warum erfahr ich erst jetzt davon? Was ist es?“, brüllte Miller so laut, dass Michelle den Hörer weiter vom Ohr weg hielt.
„Wir hatten bisher keine Zeit, Sie zu informieren, weil wir erst sicherstellen mussten, dass das Wesen stabil ist“, verteidigte sich Michelle. „Wir wollten nicht riskieren, es zu verlieren. Tim nimmt gerade Proben für die Tests. Es sieht aus, wie ein Drache, doch es hat Flossen und Kiemen. Es hat keinerlei Ähnlichkeit mit mir bekannten Ichthyosauriern oder irgendeinem anderen prähistorischen Tier. Wir tappen noch vollkommen im Dunkeln.“
„Ich bin in einer Stunde im Institut“, verkündete ihr Chef aufgebracht.
Michelle stöhnte innerlich. Das fehlte ihr noch, dass ihr Chef seine Nase hier rein steckte. Er neigte dazu, Dinge unnötig zu verkomplizieren oder gar zu ruinieren. Er hatte einfach keine Ahnung, wie Dinge hier liefen. Wie konnte er auch, wenn er nie anwesend war. Das hielt ihn aber nicht davon ab, alle herumzukommandieren, wenn er hier war.
„In Ordnung. Wir sehen uns dann später“, sagte sie dennoch und bemühte sich, nicht so entgeistert zu klingen, wie sie sich fühlte. Was ihr wahrscheinlich nicht sonderlich gut gelang.
„Dann bis später.“
Michelle legte den Hörer auf und lehnte sich seufzend in ihrem Bürosessel zurück. Sie hatte so gehofft, wenigstens heute in Ruhe alle Tests machen zu können und das Tier zu untersuchen, ohne dass ihr übermotivierter, aber leider ziemlich planloser Chef ihr über die Schulter schaute oder gar in die Quere kam. Manchmal fragte sie sich, wie er es geschafft hatte, der Leiter des
Instituts für Meeresbiologie Clearwater
zu werden. An seinen Fähigkeiten konnte es ganz eindeutig nicht liegen.
Am Nachmittag klingelte das Telefon erneut. Michelle war noch immer mit den Tests beschäftigt und ärgerte sich über die Störung. Sie hasste es, unterbrochen zu werden, wenn sie an einem Fall dran war.
„Soll ich rangehen?“, fragte Tim.
„Bitte“, murmelte Michelle abwesend.
Sie hörte, wie Tim das Gespräch annahm.
„Für dich“, sagte er, ihr das Telefon reichend. „Miller“, formte er lautlos mit den Lippen.
Seufzend nahm Michelle das Gespräch entgegen. Ihr blieb aber auch gar nichts erspart heute.
„Ja?“
„Michelle? Ich habe gute Neuigkeiten für Sie“, ertönte die aufgeregte Stimme ihres Chefs durch die Leitung.
„Gute Neuigkeiten?“, fragte Michelle skeptisch. Es war selten gut, wenn ihr Chef so enthusiastisch klang.
„Ich habe einen neuen vierten Mann für Sie“, verkündete Miller selbstzufrieden. „Ganz zufällig las ich einen Artikel von ihm in einem Wissenschaftsmagazin über prähistorische Meeresbiologie. Er ist brillant. Ich hab ihn sofort kontaktiert und gefragt, ob er Interesse an einer Stelle in Ihrem Team hat. Natürlich hab ich ihm von dem Fund erzählt und er war sofort sehr interessiert. Ich bin sicher, Mr. Dominari wird eine Bereicherung für das Team.“
„Mr. Dominari? Nie von ihm gehört. Wo hat er vorher gearbeitet?“
„Er ist aus Europa und noch nicht lange in den Staaten, meine Liebe. Er wird morgen um acht seinen Dienst antreten. Ich vertraue darauf, dass Sie sich seiner annehmen, ihm alles zeigen und so weiter.“
„Morgen? Ähem, okay. Ja, natürlich. Ich werde mich schon um den Kollegen kümmern.“
„Gut! Ich verlasse mich auf Sie.“ Es lag eine unterschwellige Warnung in Dr. Millers Ton, der Michelle nicht gefiel.
Nachdem Michelle das Gespräch beendet hatte, lehnte sie sich stöhnend in ihrem Sessel zurück. Was würde sie darum geben, den heutigen Tag aus dem Kalender streichen zu können. Zumindest alles außer dem Fund von Drago natürlich.
„Was gibt es?“, wollte Tim wissen.
„Wir bekommen einen neuen vierten Mann. Offensichtlich irgendeine Koryphäe auf dem Gebiet der prähistorischen Meeresbiologie. Genau das, was mir zu meinem Glück noch gefehlt hat!“
Kapitel 2
N aios lehnte sich im Sessel zurück und legte die Füße auf das Pult vor sich. Unter halb geschlossenen Lidern schaute er auf den großen Bildschirm vor sich, der eine Szenerie am Strand
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