Riskante Naehe
Prolog
Washington, D.C.
Karen Lombard atmete tief durch, als die Haustür hinter ihrem Mann zufiel. Wie so oft war die Spannung zwischen ihnen beinahe mit Händen greifbar gewesen. Dabei wusste sie nicht einmal, was sie jetzt wieder getan hatte, um Paul gegen sich aufzubringen. Schon seit Monaten erzählte sie ihm nichts mehr über ihre Arbeit als Waffenexpertin im Pentagon, weil sie wusste, dass er sich ihr dadurch unterlegen fühlte und meist mit spöttischen Bemerkungen reagierte.
Unmut breitete sich in ihr aus. Was konnte sie dafür, wenn er mit seiner Arbeit als Buchhalter nicht zufrieden war? Er hatte sich seinen beruflichen Werdegang selbst ausgesucht, und sie hatte nie auch nur mit einem Wort angedeutet, dass sie ihn deswegen weniger schätzte. Das Einzige, was sie störte, war seine ewige Unzufriedenheit und seine Eifersucht auf ihre Arbeit. Kopfschüttelnd schob sie diese Gedanken beiseite, wie so oft. Paul würde irgendwann einsehen, dass sie ein gutes Leben führten und mit dem zufrieden sein konnten, was sie erreicht hatten.
Ein Blick auf die Uhr zeigte Karen, dass sie sich beeilen musste. Durch die Diskussion mit Paul war sie heute später dran als gewöhnlich, und auch wenn ihre Mitarbeiter nichts sagen würden, hasste Karen Unpünktlichkeit. Im Bad fasste sie ihre langen blonden Haare zu einem Knoten zusammen, damit sie ihr bei der Arbeit nicht im Weg waren. Kritisch betrachtete sie sich im Spiegel und zuckte dann mit den Schultern. Mit ihrem zu breiten Mund und der eher molligen Figur würde sie nie schön und schlank sein, aber das brauchte sie auch nicht, solange ihr Gehirn funktionierte. Mit einem Seufzer wandte sie sich ab. Aber schaden konnte es sicher auch nicht.
Karen zuckte erschrocken zusammen, als aus dem Erdgeschoss ein Scheppern zu ihr heraufdrang. Rasch lief sie auf den Flur, lehnte sich über das Treppengeländer und blickte nach unten. »Paul? Hast du etwas vergessen?«
Keine Antwort. Karen lauschte angestrengt, doch sie konnte keine Schritte oder anderen Geräusche hören. Paul schien also nicht noch einmal zurückgekommen zu sein. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass sie nicht mehr alleine im Haus war. Gänsehaut überzog ihre Arme, und ein Schauder lief über ihren Rücken. So leise wie möglich ging sie die Treppe hinunter und stoppte, als sie in das Wohnzimmer sehen konnte. Es schien alles wie immer zu sein, und sie kam sich allmählich albern vor, dass sie durch ihr eigenes Haus schlich. Schließlich hatten sie ein gutes Sicherheitssystem, das sie immer scharf stellten, sogar wenn nur einer von ihnen das Haus verließ. An der roten Lampe konnte sie erkennen, dass Paul es auch heute Morgen angestellt hatte. Erleichtert atmete sie auf.
Im Grunde besaßen sie sowieso kaum etwas, das einen Diebstahl lohnte, doch das Verteidigungsministerium hatte auf der Alarmanlage bestanden, weil sie, wie man mehrfach betonte, als Leiterin eines geheimen Waffenprojektes durchaus Opfer einer Entführung werden konnte. Karen nahm die Warnung ernst, aber sie weigerte sich, ihr Leben von Furcht bestimmen zu lassen. Lautlos ging sie über den flauschigen Läufer, der den Holzboden bedeckte, auf das Wohnzimmer zu. Ohne dass sie es sich erklären konnte, kam plötzlich Unruhe in ihr auf.
Karen schüttelte den Kopf. Es wurde eindeutig Zeit, ihre Tasche zu holen und das Haus zu verlassen. Auf ihrem Weg zur Küche, die direkt an das Wohnzimmer anschloss, entdeckte sie einen Blumentopf, der zerbrochen auf dem Parkett lag. Scherben und Erde waren bei dem Aufprall bis unter den Couchtisch geflogen. Trauer erfüllte sie, als sie den zerstörten Topf sah, den sie erst vor einigen Wochen gekauft hatte. Verdammt! Jetzt wusste sie immerhin, was das Scheppern verursacht hatte. Wie hatte das passieren können? Vielleicht war Paul in seiner Hast, das Haus zu verlassen, dagegen gestoßen. Allerdings hatte sie das Knallen der Haustür deutlich vorher gehört. Oder?
Die Unruhe verstärkte sich. Obwohl die Alarmanlage eingeschaltet war und sie niemanden hörte oder sah, hatte sie das Gefühl, nicht mehr allein im Haus zu sein. Karen atmete tief durch. Sie würde jetzt ihre Handtasche samt Handy holen und aus dem Haus verschwinden. Von draußen konnte sie dann die Polizei benachrichtigen und das Haus durchsuchen lassen.
Ebenso leise wie zuvor betrat sie die Küche und atmete erleichtert auf, als ihr dort niemand auflauerte. Offensichtlich war es wirklich nur ihre Fantasie, die ihr einen Streich spielte.
Rasch
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