Narben
von den Familien der Opfer. Von Schwandts Vulgarität und den Aufschreien der Presse. Als sie gehen mußte, schien sie enttäuscht zu sein.
Zur zweiten Sitzung kam sie in Begleitung eines jungen Mannes Ende Zwanzig, der den gleichen blassen Teint und die gleichen braunen Augen hatte wie Lucy; sein Lächeln war noch gequälter als ihres.
Sie stellte ihn mir als ihren Bruder vor, Peter.
»Kommen Sie doch herein. Sie können auch am Strand Spazierengehen«, schlug ich vor.
»Nein, danke, ich warte im Auto«, sagte er mit schläfriger Stimme. Er öffnete die Beifahrertür und stieg ein. Es war ein warmer Tag, doch er trug einen dicken braunen Pullover.
Lucy schaute zu ihm zurück, als wir hineingingen. Er saß vorgebeugt und schien mit etwas auf seinem Schoß beschäftigt. Die nächsten fünfundzwanzig Minuten war ihr Lächeln weniger beständig. Sie konzentrierte sich auf Schwandt und versuchte zu begreifen, wie er so tief hatte sinken können. Doch das Thema setzte ihr zu sehr zu, und sie kam auf Milo zu sprechen. Das heiterte sie auf.
Zur dritten Sitzung kam sie wieder allein, und diesmal ging es die meiste Zeit um Milo. Sie sah ihn als den genialen Detektiv. Kein Wunder, nachdem sie erlebt hatte, wie er den Schwandt-Fall gehandhabt hatte.
Schwandt hatte wahllos in Los Angeles und Umgebung zugeschlagen. Als der Polizei klarwurde, daß zwischen den Morden ein Zusammenhang bestehen mußte, wurde eine Sonderkommission eingesetzt, aber am Ende waren es Milos Ermittlungen im Fall Carrie Fielding, die alles aufklärten.
Der Fielding-Mord hatte die Stadt in Panik versetzt. Ein hübsches zehnjähriges Mädchen aus Brentwood war im Schlaf aus dem Bett gerissen, verschleppt, vergewaltigt, erdrosselt und verstümmelt worden; ihre Überreste hatten Jogger in der Morgenfrühe auf dem Mittelstreifen des San Vincente Boulevard entdeckt.
Den Tatort hatte der Mörder, wie immer, einwandfrei sauber und ohne Spuren hinterlassen. Bis auf eine mögliche Unvorsichtigkeit: einen unvollständigen Fingerabdruck auf Carries Bettpfosten.
Der Fingerabdruck stammte nicht von Carries Eltern oder dem Kindermädchen und war auch in keinem Verzeichnis des FBI zu finden. Die Polizei konnte nicht glauben, daß der Mörder ein Neuling war, und dehnte die Nachforschungen auf kürzlich festgenommene Verbrecher aus, deren Daten vielleicht noch nicht im Zentralcomputer waren. Ohne Erfolg.
Dann besuchte Milo die Familie Fielding noch einmal und bemerkte Gartenerde unter Carries Fenster auf dem Steinboden, nur ein paar Krümel, praktisch unsichtbar.
Obwohl er den Fund zunächst nicht für wichtig hielt, erzählte er Carries Eltern davon. Sie sagten, seit dem Sommer sei bei ihnen nichts mehr gepflanzt worden, was der Gärtner bestätigte.
Doch an der Straße hatten städtische Arbeiter alte Büsche ausgegraben und kleine Magnolienbäume gepflanzt. Die Krümel, die Milo gefunden hatte, stimmten mit der Blumenerde überein, die für die Jungpflanzen benutzt worden war.
Milo lud sämtliche Mitglieder des Gärtnertrupps vor, um Fingerabdrücke nehmen zu lassen, doch einer der Arbeiter, ein Neuer namens Randolph Sand, tauchte nicht auf. Milo fuhr zu dessen Wohnung in Venice, um ihn nach dem Grund zu fragen. Von dem Mann und seinem registrierten Wagen, einem fünf Jahre alten schwarzen Mazda-Transporter, fehlte jede Spur.
Der Vermieter sagte, Sand hätte für zwei Monate im voraus bezahlt, aber am Tag zuvor hätte er ein paar Taschen gepackt und wäre weggefahren. Milo besorgte sich einen Durchsuchungsbefehl. Die Wohnung war sauber wie ein Operationssaal. Es roch noch nach Möbelpolitur. Nach einigem Suchen fand er einen abgeklemmten Boiler und darunter versteckt die Umrisse einer Falltür.
Ein alter Keller, sagte der Vermieter. Seit Jahren unbenutzt. Milo schob den Boiler beiseite und kletterte hinunter. »Direkt in die Hölle«, erzählte er mir später.
Nadeln, Messer, Glasbecher und Flaschen, Hautfetzen und Fleischbrocken in Formalin. In einer Ecke sackweise Torf, Moos, Blumenerde und menschliche Exkremente. Auf einem Regal Blumentöpfe mit Dingen, die niemals wachsen würden.
Es stellte sich heraus, daß Sand bei der Stadt einen falschen Namen angegeben hatte. In Wirklichkeit hieß er Roland Schwandt und hatte mehrere Aufenthalte in Gefängnissen und psychiatrischen Anstalten hinter sich. Verurteilungen wegen Autodiebstahl, Exhibitionismus, Mißhandlung von Kindern, Körperverletzung, Vergewaltigung und Totschlag. Die meiste Zeit seines Lebens
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