Narben
Ruth die Sache in die Hand genommen hat, ist es besser geworden.«
Er lächelte. »Wann, meinst du, wird es fertig?«
»Frühestens in sechs Monaten. Bis dahin müssen wir uns mit Malibu begnügen.«
»Schlimm, schlimm. Und wie geht es eurem Hund?«
»Das Wasser mag er nicht, aber am Sand hat er buchstäblich Geschmack gefunden. Den frißt er.«
»Oh. Vielleicht kannst du ihm beibringen, Zement zu scheißen, das würde euch Maurerkosten sparen.«
»Wie praktisch du immer denkst, Milo.«
2
Ein ganzes Jahr lang hatten wir ein Nomadenleben geführt. Vor dreizehn Monaten, kurz bevor Roland Schwandt anfing, durch Schlafzimmerfenster zu klettern und Mädchen in Stücke zu hacken, hatte ein rachebesessener Psychopath mein Haus niedergebrannt, mitsamt den Erinnerungen und Habseligkeiten von zehn Jahren meines Lebens. Danach, sobald Ruth und ich wieder Kraft fanden, positiv zu denken, hatten wir begonnen, den Wiederaufbau zu planen und nach einer Übergangsbleibe zu suchen.
Wir mieteten ein Strandhaus in Malibu. Ein Haus, wie ich es besitzen könnte, wenn ich etwas schlauer und ehrgeiziger gewesen wäre. In meiner hyperaktiven Jugend, als ich tagsüber im Western Pediatric Hospital arbeitete und abends Privatpatienten betreute, hatte ich ganz gut verdient und in Immobilien in Malibu investiert. Ich hatte Apartmenthäuser am anderen Ende der Stadt gekauft und mit Gewinn weiterverkauft, so daß ich mir ein Paket Aktien und Wertpapiere zulegen konnte, das mir ein Einkommen sicherte, auch wenn ich sonst nichts verdiente.
Ich hatte noch nie am Strand gewohnt. Zu abgelegen, dachte ich immer, zu weit weg vom pulsierenden Stadtleben. Jetzt aber kam mir die Abgeschiedenheit gelegen. Nur Ruth, Bully und ich und ein paar Patienten, die bereit waren, zu uns heraus zu kommen.
Ich hatte seit Jahren keine Langzeittherapie mehr gemacht, sondern mich auf forensische Arbeit - Gutachten und Beratertätigkeit - spezialisiert. Doch manchmal kam etwas anderes dazwischen - Lucy Lowell zum Beispiel.
Das Haus war klein. Hundert Quadratmeter in einer grauen Holzschachtel, auf Sand gebaut. Zur Hauptstraße hin gab es einen hohen Zaun mit einem Tor und eine Doppelgarage, in der Ruth eine Werkstatt für ihre Musikinstrumente eingerichtet hatte, nachdem sie beschlossen hatte, ihren Laden in Venice zu vermieten. Eine Hintertür führte zu einer ausgetretenen Treppe zum Strand hinunter. Einmal hatte ich versucht, schwimmen zu gehen, aber dann nie wieder. Das Wasser war eisig, es gab häßliche Strömungen, und der Grund war mit Kieselsteinen übersät.
Trotzdem: wir fühlten uns wohl. Den Strand hatten wir ganz für uns, samt Treibholz und jeder Menge Sand für Bully.
Bully ist eine französische Bulldogge, ein eigenartiges Geschöpf, nicht nur vom Aussehen her. Zwölf Kilo Muskeln unter schwarzem Fell, verteilt auf einen Körper, der kaum größer ist als eine Handtasche. Dazu Fledermausohren und ein runzliges Gesicht. Er hat das unverkennbare Temperament einer Bulldogge: ruhig, treu, liebevoll und ausdauernd, nein: stur.
Er war mir zugelaufen, halb tot vor Hitze und Durst, nachdem seine Besitzerin gestorben war. Ein Haustier war damals das letzte, worum ich mich kümmern wollte, aber er schnüffelte sich rasch in unsere Herzen.
In seiner Jugend hatte man ihm beigebracht, sich vom Wasser fernzuhalten, und er haßte den Ozean. Die Wellen machten ihn wütend. Meistens blieb er bei Ruth und spielte den Leibwächter, wenn sie mit ihrem Lieferwagen unterwegs war. Heute morgen hatten sie um sechs das Haus verlassen. Ich war also ganz allein. Ich schob die Glastür auf und ließ etwas Wärme und Meeresrauschen herein. Dann machte ich mir einen Kaffee und dachte über Lucy nach.
Nachdem Milo ihr meine Telefonnummer gegeben hatte, brauchte sie zehn Tage, bevor sie mich anrief. Das ist nicht ungewöhnlich, denn einen Psychologen aufzusuchen, ist für die meisten Menschen ein großer Schritt, sogar in Kalifornien. Sie bat schüchtern um einen Termin morgens um halb acht, damit sie um neun in ihrem Büro sein konnte. Als ich zustimmte, war sie überrascht.
Sie kam fünf Minuten zu spät und entschuldigte sich lächelnd. Ein hübsches, wenn auch gequältes Lächeln, sehr defensiv. Ein Lächeln, das die ganze Sitzung über nicht von ihren Lippen verschwand.
Sie war intelligent und redegewandt, mit einem guten Gedächtnis für Einzelheiten. Sie erzählte von den Gefechten zwischen den Anwälten, von den Grimassen, die der Richter zu ziehen pflegte, und
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