Narben
war er eingesperrt gewesen, doch nie länger als drei Jahre am Stück. Und die Stadt hatte ihm eine Motorsäge in die Hand gedrückt.
Zwei Wochen später wurde er in Arizona verhaftet. Ein Polizist entdeckte ihn, als er einen Reifen an einem schwarzen Mazda wechseln wollte. Im Handschuhfach lag eine mumifizierte Hand - eine Kinderhand, aber nicht Carries.
Der Fingerabdruck auf dem Bettpfosten stellte sich als falsche Spur heraus. Er gehörte zum Hausmädchen der Fieldings, die zur Zeit des Mordes in Mexiko weilte. Bei den ersten Vergleichen war sie vergessen worden.
Ich hörte schweigend Lucys Erzählung zu und erinnerte mich an die nächtlichen Drinks mit Milo, als er mich brauchte, um das Grauen zu überwinden.
Manchmal sah selbst ich die Bilder vor mir. Schreckliche Bilder. Das Foto von Carrie Fielding. Schwandts Krötenaugen, sein hängender Schnurrbart, sein Verkäuferlächeln und wie er sein öliges schwarzes Haar mit seinen langen weißen Fingern zwirbelte.
Würde Lucy je ihren Seelenfrieden zurückgewinnen? Wenn ich etwas mehr über ihren Hintergrund wüßte, könnte ich wenigstens raten, wie weit ich ihr helfen konnte. Doch darüber hatte sie mich bislang im dunkeln gelassen.
Um zwei schaltete ich den Fernseher ein. Das Strandhaus war ans Kabelfernsehen angeschlossen: Schund auf sechzig Kanälen anstatt sieben. Ich fand eine angeblich ernsthafte Nachrichtensendung und mußte fünf Minuten Geschwätz erdulden, bis der Sprecher ansagte: »Und jetzt das Neuste von der Demonstration in der Innenstadt.«
Auf dem Bildschirm erschien die Fassade des Gerichtsgebäudes, dann ein Schwenk auf einen Ring von Demonstranten mit Transparenten gegen die Todesstrafe. Hinter ihnen stand eine andere Gruppe: etwa zwanzig junge Frauen in schwarzen Kleidern. FREIHEIT FÜR ROLAND! ROLAND IST GOTT! besagten ihre Poster.
Der Fanclub. Während der Verhandlung hatten sie gewöhnlich weiße Schminke im Gesicht und satanischen Schmuck getragen.
Auf der anderen Straßenseite stand eine dritte Gruppe: Bauarbeiter, die mit dem Finger auf den Fanclub zeigten und verächtlich lachten. Eine der Frauen schrie ihnen etwas zu. Plötzlich sprang einer der Arbeiter mit geballten Fäusten auf die Straße. Bevor die Polizei eingreifen konnte, kamen seine Freunde hinter ihm her und stürzten sich in die Menge.
Jetzt wurde wieder das Studio eingeblendet. »Das war live vom Gericht«, sagte der Sprecher, »wo es offenbar zu Unruhen gekommen ist während einer Demonstration für Roland Schwandt, den Massenmörder, der mindestens -«
Ich schaltete ab.
Die Gegner der Todesstrafe waren leicht zu verstehen. Doch die jungen Frauen in Schwarz hatten nichts zu ihrer Rechtfertigung vorzuweisen als ihre Besessenheit für Schwandt.
Zuerst waren sie einzeln erschienen, in der Schlange mit dem übrigen Publikum vor dem Gerichtssaal. Die ersten Tage der Verhandlung hatten sie schweigend im Saal gesessen. Als es immer ekelhafter wurde, waren es plötzlich sechs, dann zwölf.
Irgendein Pressewitzbold taufte sie den »Fanclub« und brachte ein Interview mit einer von ihnen, einer ehemaligen Prostituierten, die ihr Heil im Teufelskult gefunden hatte. Die Boulevardpresse und entsprechende Fernsehsender erkoren sie zu den »Verrückten der Woche« und machten sie interessant genug, daß ein weiteres Dutzend zu ihnen stieß. Bald gruppierten sie sich vor und nach jedem Verhandlungstag, uniformiert in schwarzen Jeans und T-Shirts, gespenstischem Make-up und Eisenschmuck.
Wenn Schwandt den Saal betrat, taten sie, als fielen sie in Ohnmacht. Wenn Verwandte der Opfer, Polizisten oder Anklagevertreter zu Wort kamen, reagierten sie mit Zischen und finsteren Blicken, bis der Staatsanwalt protestierte und der Richter sie verwarnte. Einige von ihnen brachten es zu ein paar Tagen Gefängnis wegen Mißachtung des Gerichts, indem sie vor Schwandt ihre Brüste entblößten oder »Lügner« schrien, als einer der Gerichtsärzte aussagte, oder indem sie Carrie Fieldings Mutter beschimpften, nachdem sie im Zeugenstand weinend zusammengebrochen war.
Die Verhafteten gaben Interviews voller trauriger Einblicke in ihre Lebensgeschichten. Alle sagten, sie seien mißhandelt worden. Die meisten hatten auf der Straße gelebt und auf dem Babystrich gearbeitet.
Nachdem sie gegen Ende des Verfahrens aus dem Gerichtssaal verbannt worden waren, versammelten sie sich auf den Treppen und heulten um Gerechtigkeit für ihren Messias. Am Tag der Urteilsverkündung gelobten sie, Schwandt zu
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