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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
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kopfüber viele Jahre oder Stunden. Ein Hinweis war vor langer Zeit auf die Mauer gepinselt worden,
Pit Loka
stand da, Welt der Vorfahren, und obwohl die Buchstaben bereits verblasst waren, hielt sich eine Gruppe von uns ständig dort auf, als könnte die Nähe zu den Wörtern bewirken, dass wir bald ins Land der Lebenden zurückkehrten. Nur kann ich nicht zurück, außer so, außer teilweise.
    »Ich freue mich, dass du wieder da bist«, sagte ich.
    »Ich war die ganze Zeit hier. Was ich getan habe? Ich weiß nicht. Die Leute erzählen mir Geschichten, vertrauen mir Geheimnisse an. Sie sind nett, weil sie mich mögen, und sie sagen mir, was ich zu erwarten habe.«
    »Was sagen sie denn?«
    »Das Gleiche, was ich dir jetzt sage, dass wir hier sind, in deiner Nähe, unsichtbar natürlich, aber wir sind hier.«
    »Wo?«
    »Ich kenne keinen Menschen, der so viele Fragen stellt«, sagte Dimple, blickte aus dem Fenster und lächelte. »Auf der anderen Seite des Spiegels pressen wir die Hände ans Glas und versuchen, dein Gesicht zu berühren. Nur ein Schleier trennt uns, ein durchsichtiger Schleier, so dünn wie der, der dich von deinen Träumen trennt. Willst du mit uns reden, brauchst du nur die Hand ins Wasser zu tunken. Wir warten auf einen Blick, auf ein Wort, irgendeine Anerkennung, dass wir hier sind. Tunkst du die Hand ein, hörst du uns. Und du solltest zuhören. Selbst wenn du es unerträglich findest, solltest du zuhören.«

2 Rumi über Zuhälter
    Ich belauschte zufällig ein Gespräch, nein, eher einen Streit zwischen einem Zuhälter und einem großgewachsenen Mann mit einem Kastenzeichen auf der Stirn. Der große Mann trug Cowboystiefel und weigerte sich, sie an der Tür auszuziehen. Ich konnte nicht verstehen, was der Zuhälter sagte, die Stimme des anderen Mannes aber war kaum zu überhören. Er erklärte dem Zuhälter, das Gesetz von Angebot und Nachfrage gelte überall, auch in den Jauchegruben der verdammten Dritten Welt. Das ist doch kindisch, sagte er. Sie sollten es nicht persönlich nehmen, wenn Ihre Huren unbeliebt sind. Überlegen Sie lieber, wie Sie das Problem aus der Welt schaffen. Könnte sein, dass Sie nur einen USP brauchen. Eine regelmäßige medizinische Vorsorgeuntersuchung, das ist die Lösung, mein Freund. Die Untersuchungsergebnisse werden für alle lesbar an die Wand geheftet, allerdings nur, wenn nichts gefunden wurde. Der Zuhälter war ein pockennarbiger Riese mit Zähnen, die zu groß für seine Lippen waren. Sein Mund stand offen, als hechelte er, doch die Stimme blieb gefasst. Er sagte: Haben Sie mich kindisch genannt? Er gebrauchte dasselbe Wort aus dem Hoch-Hindi, das auch der andere Mann benutzt hatte: ›bachpana‹, dabei hätte er zulangen und seinem Gegenüber den Garaus machen können, ohne dass es ihn auch nur einen einzigen Schweißtropfen gekostet hätte. Was ihn zurückhielt, war die Miene im Gesicht des Fremden, der ihn so gelassen musterte, als trüge er eine Pistole unterm Hemd oder zumindest doch ein Messer.
    »Bloß bekifftes Gequatsche«, sagte der Mann, sobald der hundegesichtige Zuhälter gegangen war. Er trug Kopfhörer um den Hals, und ich hörte eigenartige Musik herauspulsen. »Ich habe was gesagt, er hat sich aufgeregt, und dann hat er sich verdammt nochmal wieder beruhigt. Soll ich Ihnen was verraten?«
    Er senkte die Stimme ein wenig, was auf die Männer um uns herum nur wie ein Signal wirkte. Er sagte: Man darf eine kleine, aber überaus wichtige Tatsache niemals vergessen: Zuhälter sind Feiglinge. Zuhälter sind Abschaum. Zuhälter verdienen ihr Geld mit den Schwachen und Gebrechlichen, mit Männern und Frauen, die ihren Lebenswillen verloren haben, die niemals kämpfen oder Widerstand leisten, die sterben wollen. Sobald man begriffen hat, dass ein Zuhälter ein feiger kleiner Schisser ist, gibt es kein Problem mehr; man kann sich ihm stellen wie ein Mann. Man muss eben den Tatsachen ins Auge sehen, und Tatsache ist: Das Leben ist ein Witz, ein beschissen schlechter Witz, nein, ein schlechter Scheißwitz. Sinnlos, es ernst zu nehmen, denn was auch passiert, und ich meine, scheißegal was, die Pointe ist immer dieselbe: Man beißt ins Gras. Kapiert? Es gibt verdammt nochmal nichts zu kapieren.
    Ich dachte: Er will mich beeindrucken. Ich dachte: Chandulis sind Sklaven der Pfeife; das lässt uns in der Welt schlechter dastehen, was wir mit Prahlereien und Lügen zu kompensieren versuchen.
    Dann richtete sich der große Mann auf und schrie Bengali quer

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