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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
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Straßen verfolgte und ich in eine Sackgasse lief, mich umdrehte, in meine Tasche fasste, um ihm die Tütchen zu geben, und der Bulle nicht schoss, aus irgendeinem Grund hat er nicht geschossen, mich nur in seinen Wagen bugsiert und ins Gefängnis gebracht, wo, wie gesagt, die Zelle klein war wie das Zimmer, in dem ich wohnte, und ich war ganz froh, dort zu sein und am Leben, und erst später brachte man mich nach Indien zurück, wo ich Bombay fand und das Opium, die Droge und die Stadt, die Opiumstadt und die Droge Bombay – okay, noch Zeit für eine auf die Schnelle, fast ist die Nacht schon um, eine Pfeife auf die Schnelle, damit das O-Boot übers Melassemeer segelt, nur werde ich diesmal nichts weiter tun, bloß den Kopf wenden und inhalieren, du erledigst den Rest –, habe schließlich von jeher versucht, das eine vom anderen zu trennen oder auch nicht, jetzt aber erliege ich der Versuchung, ich trenne nicht, ich verbinde, ich lasse mich auf die Geschichten ein, stecke die Pfeife an, eine für mich und eine für mich, schmecke sie ein letztes Mal, genieße die Farbe und den Duft, das Aroma, ja, genau so, gut, und dann halte ich inne, denn jetzt ist Zeit, in Stille zu versinken und das andere Ich sprechen zu lassen.

Erstes Buch
    Die Stadt O
    1 Dimple
    Ehe Dimple zu Zeenat wurde, arbeitete sie halbtags bei Rashid und verschwand abends in Richtung Hijrabordell. Ich rauchte auch dann an ihrem Platz, wenn andere Pfeifen frei waren, und wir unterhielten uns, wie sich Raucher unterhalten, horizontal, mit langen Pausen, unsere Worte so leise, dass sie wie die unverständlichen Äußerungen kleiner Kinder klangen. Ich stellte die üblichen dummen Fragen. Was ist besser, ein Mann oder eine Frau zu sein? Dimple antwortete: Geht es um Gespräche, ist man besser eine Frau, für alles andere, für Sex, zöge sie es vor, ein Mann zu sein. Dann fragte ich, ob sie ein Mann oder eine Frau sei, und sie nickte, als würde ihr diese Frage zum ersten Mal gestellt. Damals war sie etwa fünfundzwanzig und besaß die Angewohnheit, sich das Haar in die Augen zu schütteln und grundlos zu lächeln, ein nettes Lächeln, wie ich mich erinnere, ein Lächeln ohne eine Andeutung all jener Veränderungen, die ihr bevorstanden.
    Sie sagte:
Frau
und
Mann
sind Wörter, die andere Leute benutzen, ich nicht. Ich weiß gar nicht genau, was ich bin. An manchen Tagen bin ich weder noch oder auch gar nichts, und dann wieder komme ich mir wie beides vor. Wenn aber Männer und Frauen so unterschiedlich sind, wie kann ein Mensch da beides sein? Ist es nicht das, was du dich fragst? Nun, ich bin beides, und ich habe zu meinem Leidwesen manches lernen müssen, was man besser nicht wissen sollte, wenn man in dieser Welt leben will. So weiß ich zum Beispiel etwas über die Liebe, weiß, dass Liebende sich verzehren und verzehrt werden wollen, dass sie ineinander aufgehen möchten. Ich weiß, wie sehr sie sich danach sehnen, aus zweien eins werden zu lassen, und ich weiß auch, dass dies nie geschehen wird. Was noch? Frauen sind biologisch und emotional weiterentwickelt, das ist allgemein bekannt und offensichtlich. Allerdings vermengen sie Sex und Seele; sie trennen nicht. Männer dagegen trennen immer, wie du weißt: Sie trennen zwischen ihrer menschlichen und ihrer hündischen Natur. Und dann sagte Dimple: Ich würde dir gern mehr darüber erzählen, da ich, wie du dir denken kannst, dazu allerlei zu sagen habe, doch was würde das bringen? Es besteht ja kaum Hoffnung, dass du mich verstehst, schließlich bist du ein Mann.
    •••
    In Gesprächen mit ihren Kunden hatte sie Englisch gelernt, und sie brachte sich selbst das Lesen bei. Das Alphabet beherrschte sie gut genug, um einige Wörter in Zeitungen und Filmzeitschriften entziffern zu können, auch in jenen Taschenbüchern, die Kunden in der Khana liegenließen, oder sie las die Beschriftungen von Waschmittelpackungen und Zahnpastatuben. Manchmal bekam sie Bücher von Bengali, meist über Geschichte, auch über Philosophie und Geographie, oder aber illustrierte Biographien mit Titeln wie
Große Denker des Zwanzigsten Jahrhunderts
und
Einhundert berühmte Männer der Welt
. Er stöberte die Bücher in den Zeitungsläden unweit der Shuklaji Street auf, einem zentralen Umschlagplatz für Altpapier, Lumpen, Spielzeug und Trödel aller Art. Er gab sie ihr, und sie las sie heimlich, da sie beim Lesen nicht gesehen werden wollte. Sie las, wie ungebildete Menschen lesen, schaute sich gern die Umschläge

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