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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
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brutalen Smog. Doch trugen die Nonnen ihre Masken nicht zum Schutz vor der Welt; vielmehr wollten sie die Welt vor ihren eigenen kleinen Fehlern schützen. Als ich zur angegebenen Adresse kam, zeigte das Taxameter des Rikschawallahs zweieinhalbmal so viel an, wie es anzeigen sollte. Das Taxameter steckte in einem Gehäuse aus schwarzem Plastik, in das man nicht hineinsehen und das man unmöglich entfernen konnte. Ich zahlte, nahm meine Taschen und betrat die Stadt. In Minutenschnelle war ich schweißgetränkt. Dom, sagte ich, willkommen, willkommen in Bombay.
    •••
    Ich schätze, es war eine Heimkehr. Auch wenn es noch jeden Tag regnete, ließ der Monsun doch langsam nach, und ich fand eine Mietwohnung, in die ich wenige Wochen später einzog. Sie lag um die Ecke vom Bandra-Gebäude, wo ich beinahe ein Jahrzehnt zuvor gelebt hatte. Die Wohnung war so klein, wie ich noch keine gesehen hatte. Es gab eine Waschmaschine, aber keinen Kühlschrank, Gewürze, aber keinen Esstisch. Der Topf war besonders klein; er fasste gerade mal zwei Tassen, mehr nicht. Der Gasherd hatte zwei Flammen. Es gab ein Faltsofa, ein Bücherregal, einen Godrej almirah aus Stahl, einen Sessel, eine Schrankküche und eine Toilette, alles auf achtundzwanzig Quadratmetern zusammengedrängt. Nach einer Woche war ich eingerichtet und angekommen; es war, als wäre ich nie fort gewesen. Die Stadt hatte sich verändert, doch war sie immer noch ein Konglomerat von Slums, in denen ein paar Hochhäuser standen. Es gab neue Highways, aber die brachten einen auch nur schneller von einem Stau in den nächsten. Alles war laut und hektisch, ein ständiger Beat, wie House, aber ohne Tanz. Eines Abends ließ ich mich von einer Rikscha nach Hause fahren. Im Stau auf der Hill Road sah ich einen Mann die Fahrzeuge abklappern. Er lief auf allen vieren, Arme und Beine gespreizt, den Buckel gereckt, wie um ihn zu betonen. Sein Platz war eine Kreuzung mit Bars und Restaurants, Einkaufspassagen auf zwei Seiten und einem Krankenhaus. Es herrschte ein unglaubliches Gewusel, ein ewiges, chaotisches
Stop and Go
, doch der Bucklige arbeitete seelenruhig, jonglierte zeitgleich zahllose Informationen: Automarke, Fahrertyp, Platz zwischen Roller und Rikscha, Zugang zur Verkehrsinsel. Er kroch ans Fenster des nächsten Autos, und ich sah, wie sich seine Lippen bewegten. Dann streckte er die Hand aus, und eine Kinderhand tauchte auf mit einem Schein zwischen den Fingern. Er nahm das Geld und buckelte davon, doch statt es beim nächsten Wagen zu probieren, kam er zu meiner Rikscha. Als ich den Kopf schüttelte, grinste der Mann. Yaar, lange her, sagte er auf Hindi. Kennst mich noch? Von Rashid? Ich kannte ihn noch: Auf der Straße hieß er nur Spiderman.
    »Shankar, geht’s gut?«
    »Sehr gut, Boss. Hab geheiratet, mir ein Haus gekauft.« Er sah selbst überrascht aus. Dann sagte er. »Mit Garad habe ich aufgehört.«
    Die Ampel sprang um, aber der Rikschafahrer rührte sich nicht von der Stelle, so fasziniert schien er vom Spiderman. Um uns herum hupte Bandra und staute sich erneut. In einer Rikscha besteht die Stadt nur aus Abgasen, giftig und auf Mundhöhe. Shankar fragte, ob ich zu Rashid gehe. Ich hatte noch nicht daran gedacht, aber plötzlich schien mir diese so beiläufig gestellte Frage enorm wichtig. Grüß ihn von mir, sagte Shankar. Ich selbst kann es nicht. Wenn ich da hingehe, komme ich vielleicht nie mehr zurück. Du weißt ja, wie das ist.

2 Der Bürger
    Der Fahrer hatte das Radio voll aufgedreht, ein Cricketmatch, Indien gegen Pakistan. Auf dem Weg zu Rashid lauschte ich im Mittagsverkehr anderthalb Stunden lang dem alten Geschwisterstreit zwischen Hindus und Muslimen, getarnt als Expertenkommentar. An der Kreuzung Shuklaji Street und Arab Gully stieg ich schließlich aus und verschaffte mir einen raschen Überblick über die Veränderungen. Neue Wohnblöcke ragten am Ende der Straße Richtung Bombay Central auf, untersetzte Glas-und-Stahl-Gebäude, die über Nacht emporgeschossen zu sein schienen. Die Bordelle und Drogenhöhlen waren verschwunden. An ihrer Stelle standen aberhundert winzige, voneinander kaum unterscheidbare Verschläge oder Läden. Die Straße selbst war so verstopft und chaotisch wie eh und je, doch gab es an der Ecke ein McDonald’s, einen Minimarkt sowie etliche Supermärkte, und ich wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis sich auch der Rest der Umgebung anpasste. Mehrere Minuten lang lief ich wie betäubt umher. Irgendwann begriff

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