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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
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Chowk schoss, vorbei am zweistöckigen Brunnen der barbusigen Flora samt ihren Gespielinnen, hin zu den Natriumlaternen des Colaba Causeway mit seinen übereinandergetürmten, viktorianischen Ruinen und ihren einstmals prächtigen Fassaden, hinter denen heute das Elend und noch mehr Elend hauste, Kopfsteinpflastergassen, gesäumt mit Pritschen, auf denen sich die bessergestellten Bürgersteigschläfer für die Nacht zurechtmachten, während das trübe, das eitrig brodelnde Wasser, das graugrüne Kala paani, die dreckige, lebendige, sonnengewärmte Flut, an die Mauern der verfallenden Stadt schlappte. So würde ich später diese Taxifahrt beschreiben, wenn ich die Geschichte meiner Taxifahrt mit dem so berühmten wie betrunkenen Maler ein wenig ausschmückte, der zufrieden an einem Flachmann mit Whisky nuckelte.
    »Moment mal«, sagte ich. »Habe ich nicht irgendwo gelesen, dass Sie jetzt trocken sind?«
    »Mal trocken, mal nicht. Einer meiner Freunde sagt, man hört nie ganz damit auf, man legt nur Pausen ein.«
    Er nickte höflich und nahm noch einen Schluck. Und dann, als erkundigte er sich nach meinem Job oder dem Wetter, fragte er: Und? Was nehmen Sie so? Ich haderte mit mir. Ehrlich, ungefähr eine halbe Minute lang, und dann dachte ich, wie lächerlich es doch sei, dass ich mich scheute, einem Alkoholiker zu bekennen, dass ich Drogen nahm. Also erzählte ich ihm davon, und natürlich wollte er gleich zu Rashid. Er habe Opium in Thailand probiert, habe sogar einen Monat in Chiang Mai gelebt und weit mehr geraucht, als gut für ihn gewesen sei, doch das war schon viele Jahre her. Von Bombays Opiumhöhlen habe er gehört; ich täte ihm einen großen Gefallen, nähme ich ihn mit in die Khana, und falls es etwas gäbe, was er im Gegenzug für mich tun könne, sollte ich meinen Wunsch als gewährt betrachten. Außerdem bräuchte ich mir keine Sorgen zu machen; er würde es nicht weitererzählen. Schließlich habe er mehr zu verlieren als ich, sollte sich herumsprechen, dass er sich in Bombays Rotlichtmilieu herumgetrieben hatte. Er könne ein Geheimnis bewahren. Die Frage lautete, könne ich es auch?
    Es war schon spät, aber ich wusste, Rashid hatte noch auf; und es war ein Leichtes, das Taxi umzudirigieren. Die Aussicht auf ein Trinkgeld überzeugte den Fahrer zudem, auf uns zu warten. Während der Fahrt nippte der Maler immer wieder an seinem Whisky, ohne mir einen Schluck anzubieten, doch bald schon taumelten wir die Holzstufen zur Khana hinauf, in der Bengali sich über eine Zeitung beugte und Dimple sich eine Pfeife zubereitete. Einen Moment lang betrachtete ich den Raum mit dem Blick eines Fremden und sah ein flackerndes Bild, seltsam unwirklich, wie aus dem sechzehnten Jahrhundert. Ich stand da in meiner Schlaghose und fühlte mich wie ein Eindringling aus der Zukunft, der gekommen war, jene Armen und Unglückseligen zu begaffen, die in einer Zeit vor Antibiotika, Fernsehen und Flugzeugen lebten.
    •••
    Ich bestellte zwei Pyalis und ließ Xavier den Vortritt. Wer ist dieser alte Mann, fragte Dimple, da Xaviers zurückhaltende Art und gedämpfte Stimme sie vermuten ließen, er komme von anderswo (von dort, wo man kein Hindi sprach oder verstand), doch antwortete Xavier ihr im selben umgangssprachlichen Bambayya, das sie gesprochen hatte:
    »Meine Liebe, ich bin gar nicht so viel älter als du. Mein Haar ist weiß, die Knochen sind klapprig, aber das nur deshalb, weil ich trinke. Ich sehe älter aus, als ich bin, wohingegen du so alt aussiehst, wie du bist.«
    Ich sagte Dimple, sie hätte seine Bilder vor einigen Wochen in einer Zeitschrift gesehen, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, Bengali dagegen sehr wohl. Aus tiefem Dösen heraus begann er zu reden. Christus, von
ghrei
in Sanskrit, was
reiben
heißt, woraus im Griechischen
Christos
wurde, der Gesalbte, was wiederum heißt, dass Christus ein indo-europäisches Konzept sein könnte, ganz wie es Ihre Bilder nahelegen. Und das war der Moment, in dem Xavier begriff, dass Bengali zwar die Augen geschlossen hatte, ihn aber direkt anschaute. Ich erinnerte Dimple daran, wie verstört sie auf Xaviers Werke reagiert hatte, was eine ungeschminkte Reaktion gewesen sei, vielleicht die schönste Reaktion, die sich ein Künstler nur wünschen könne. Ich sagte das zu Dimple, doch war es auch für Xavier gemeint. Ich gab mit ihm an, sicher, aber ich gab vor ihm auch mit ihr an. Drogensüchtige sind sich in dieser Hinsicht ähnlich; wir wollen den

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