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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
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und er zu ihr sprach. Eunuchen pflegten einen Federkiel an ihrem Turban zu tragen, sagte er, gleichsam einen transportablen Penis, der angelegt werden konnte, sobald sie zu urinieren wünschten. Ich bin mir sicher, dass man derlei heutzutage maßgeschneidert bekommt, aus Knochen oder Plastik, eine Art Trichter, den du bei dir tragen könntest. Stell dir vor, um wie vieles leichter das für dich wäre. Du müsstest dich nicht mehr hinhocken, könntest dabei stehen und pinkeln wie ein Mann. Ihr fiel auf, dass seine Augen vorquollen wie die einer Schlange oder einer Eidechse, Glubschaugen, die nicht blinzelten, der Blick starr. Sie verstand, dass es darauf ankam, die eigenen Augen zu schließen und ruhig zu atmen. Doch als sie die Lider schloss, spürte sie ihn in ihrem Analkanal wie einen trocknen, schabenden Druck, der ihr Worte ins Hirn drängte, die sie nicht wieder loswurde: Satan. Schaitan. Scheiß drauf. Panisch riss sie die Augen auf, als er gerade eine große Rauchwolke ausstieß, zu groß für eine einzige Lunge; und sie sah nur seinen in Churidars und eine weiße Kurta gehüllten Torso: Wo der Kopf hätte sein sollen, waberte dichter Qualm, als wäre er von einem glühenden Schwert enthauptet worden, als bestünde er zuinnerst nur aus Rauch, ein menschenförmiger Rauchfluss, der ins Zimmer leckte. Später sagte sie, dies sei der Moment gewesen, in dem sie zu beten begann, und das Gebet, das ihr über die Lippen kam, sei weder muslimisch noch hinduistisch, sondern christlich gewesen; laut sprach sie es sich vor: Gegrüßet Scheißmaria, voll die Made, bitter für uns Sünder, jetzt und inner Stunde bist des Todes. Samen.
    •••
    Um Mitternacht erhob ich mich. Meine Pension schloss um halb eins; außerdem wurde es Zeit, dass wir uns auf den Weg machten. Doch Xavier wollte noch Biryani und Kabab und hoffte, Bengali wäre so freundlich, ihm das Gewünschte aus Delhi Darbars Spätkauf zu holen. Er wollte auch noch mehr Whisky und womöglich noch ein Pfeifchen. Als ich aufstand, tat Dimple es mir nach. Xavier fragte, warum sie denn gehen wolle, ob sie sich fürchte, mit einem alten Mann allein zu bleiben? Sie sagte, ich solle schon vorgehen. Sie bliebe noch, um abzuschließen.
    Das Taxi wartete, und ich fuhr nach Colaba. In meinem Zimmer, das auf die Straße hinausging, roch es nach Kampfer von der allabendlichen Fehde gegen die Mücken. Ich öffnete das Fenster, und als hätte ich eine Lampe angeknipst, fiel Mondlicht auf Bett, Tisch und Spiegel (mein gesamtes Mobiliar). Dann legte ich mich in gewohnter Weise zur Ruhe, auf dem Rücken, die Hände über der Brust gekreuzt, schlief ein und wurde plötzlich wieder wach, da das Laken feucht war und mir eine tiefe Wunde zwischen den Beinen klaffte. Mit den Händen versuchte ich die Blutung zu stillen, doch es tropfte in die Hose und suppte in die Schuhe. Ich bin mit Schuhen eingeschlafen, dachte ich einfältig und betastete die blutverkrusteten Schenkel. Dann blickte ich zu Boden, doch da war nichts, nur Mondlicht und Staub. Blindlings langte ich beim Aufwachen nach dem Telefon. Es war Mittag, und ich lag in derselben Haltung, in der ich eingeschlafen war. Trotz beinahe zehn Stunden Schlaf fühlte ich mich erschöpft und war verschwitzt, nahm eine Dusche und aß in der Cafeteria zu Mittag, kümmerte mich um meine Wäsche und ging zurück aufs Zimmer, wo ich endlos die Gegenstände auf meinem Tisch hin und her räumte. Gegen vier Uhr nachmittags konnte ich an nichts anderes mehr denken und war auf dem Weg zur Tür, als der Pensionswirt anrief und sagte, da wolle mich jemand sehen. In der Lounge – ein großspuriger Name für etwas, das in Wahrheit kaum mehr als ein Flur ohne Licht und Luft war – saß Akash Iskai und las Zeitung. Er trug ein blaues, viele Male gewaschenes T-Shirt, wodurch er nicht ganz so sehr einem Hindustani-Musiker ähnelte wie am Abend zuvor bei der Lesung mit Xavier. Der Dichter hatte meine Adresse vom Nachtportier des PEN , von dem ihm gesagt worden war, dass Xavier und ich zusammen in einem Taxi fortgefahren seien. Iskai war davon ausgegangen, dass es seinem Freund gutgehe, aber nun wisse er, dass es ihm ganz und gar nicht gutgehe. Xavier sei verschwunden. Er halte sich nicht in seinem Hotel auf und sei auch nicht zur Pressekonferenz in der Galerie erschienen, in der seine Ausstellung eröffnet werde. Wo er sei? Ob ich etwas wisse? Iskai schrieb sich die Schuld an diesem neuen Debakel zu, das der arme Mann erleiden müsse. Ihm würde man es

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