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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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nicht.«
    »Dann bin ich mir fast sicher, dass er es als Hinweis hinterlassen hat. Vielleicht hat er seine Angreifer kommen gesehen oder sie gehört. Mehr Zeit als für die flüchtige Skizze hatte er wahrscheinlich nicht mehr«, meinte Paul, griff in seine Tasche und zog das Handy heraus. »Jetzt bereit für die Kavallerie?«, fragte er, und als Sina nickte, begann der Reporter zu wählen. Genau in diesem Moment ertönte ein schriller, nicht enden wollender Schrei aus dem dunklen Garten.
    Unter den Linden, Berlin-Mitte/Deutschland
    D er Eingang lag versteckt, verborgen hinter zerbrochenen Weinregalen des alten Hotel Adlon, in einem abgemauerten Keller direkt unter der Fahrbahn mit jenen Bäumen, die der Chaussee ihren Namen gegeben hatten. Dieser Teil des riesigen Hotelkellers war nach dem verheerenden Brand des traditionsreichen Hauses mit der Adresse »Unter den Linden 1« am Ende des Zweiten Weltkrieges aufgelassen worden. Nach dem Kampf um Berlin hatten russische Kampftruppen den Weinvorrat gleich vor Ort dezimiert, dann waren die Reste der mehr als zwei Millionen Flaschen spurlos verschwunden – in die Offizierscasinos der Siegermächte und die privaten Weinkeller der Stadtkommandanten. Zurück blieben leere Regale und Berge alter und zerbrochener Flaschen, die sich vor den nun morschen und halb zerfallenen Holzetageren türmten und Geschichten aus einer lang vergangenen Epoche erzählten. Erinnerungen an elegante Diners, an glanzvolle Abendsoireen, an Prunk, Luxus und Zerstreuung, an internationale Prominenz und Glamour. Es waren Geschichten von den oberen Zehntausend, von den teuersten Suiten Europas und von Maharadschas, die ihre Elefanten nach Berlin mitbrachten und nur den besten Wein bestellten. Und die manchmal mit Rubinen und Diamanten ihre Rechnung bezahlten.
    Peter Marzin stellte nachdenklich einen Jahrgang 1912, Chateau Mouton-Rothschild, zurück auf den nackten Kellerboden und fragte sich, wo der schreckliche Gestank herkam, der den Raum geradezu körperlich auszufüllen schien. Von den Weinflaschen konnte er nicht stammen. Marzin, ein schlanker Mittdreißiger mit kurzen, schwarzen Haaren war knapp zwei Meter groß und der Keller wirkte fast bedrückend niedrig angesichts seiner Körpergröße. Aber Klaustrophobie war das Letzte, worunter Marzin litt. Er liebte die engen Kanäle und halb verfallenen Gänge im Untergrund Berlins, die massiven Bunker und aufgelassenen Fabriken, die unter den Füßen der Hauptstädter ein verstecktes und meist unbekanntes Dasein führten – eine Leidenschaft, die er mit seinem Begleiter teilte, der nun fasziniert auf die Berge leerer Flaschen schaute, die im Licht der Taschenlampe aufleuchteten.
    »Stell dir vor, die wären alle voll und wir hätten ausgesorgt«, meinte kichernd der kleine, schmale Mann mit den grauen Haaren, die, widerspenstigen Borsten einer abgenutzten Bürste gleich, unter einem dunkelgrünen Kunststoffhelm hervorlugten. Er trug wie sein Begleiter Marzin einen Parka gegen die Kälte im Berliner Untergrund und hohe gelbe Gummistiefel gegen die Nässe in den Kanälen, durch die beide oft wateten. Marzin und sein Seniorpartner, Fritz »Wolle« Wollner, waren zusammen der »Berliner Unterwelt e.V« und ein eingeschworenes Team. Gemeinsam entdeckten und kartografierten sie nun seit mehr als zwei Jahrzehnten die Tunnel, Bunker, Kellergänge und aufgelassenen Teile der alten Rohrpost, die es überall unter Berlin zu geben schien. Je mehr sie katalogisierten und vermaßen, umso mehr unbekannte Gänge und Schlupflöcher taten sich auf. Berlin schien auf einem Irrgarten aus Gängen und Tunneln gebaut worden zu sein.
    Marzin war bereits als kleiner Junge auf Entdeckungsreise ins unterirdische Berlin gegangen. Eines Tages, bis zur Hüfte im Abwasser stehend, war er dem wesentlich älteren Wollner begegnet. Seither waren Wolle und er jedes Wochenende »auf Tour«, wie sie es nannten. Erst gestern hatten sie den abgemauerten Keller nahe des Hotel Adlon entdeckt, aus reinem Zufall, weil einer der Steine locker geworden und nach innen gefallen war, als Wolle sich gegen die Wand eines Kanals gelehnt hatte, um eine seiner filterlosen, selbst gedrehten Zigaretten anzuzünden. Nachdem sie rasch die restlichen Steine entfernt hatten und durch die Lücke gestiegen waren, fanden sie sich vor Bergen von leeren Flaschen wieder, den morschen Regalen, und schließlich hatten sie die seltsame, verrostete Metalltür entdeckt, die fast die Farbe der umliegenden Wand angenommen

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