Narrenturm - Roman
zurückzulassen. Die Magier der alten Schule hingegen verteidigten ihre ausgestopften Krokodile, getrockneten Sägefische, Homunculi, Schlangen in Spiritus, Bezoarsteine und Mandragoren bis zuletzt – und endeten auf dem Scheiterhaufen.
Huon von Sagar zog aus einer Kiste eine mit Stroh umflochtene Flasche und füllte zwei Kelche mit einer rubinroten Flüssigkeit. Es roch nach Honig und Kirschen, zweifellos war dies ein Kirschgetränk.
»Nimm Platz, Reinmar von Bielau.« Er wies auf einen Stuhl. »Lass uns etwas trinken. Es gibt nichts zu tun. Kampfersalben gegen Prellungen habe ich vorrätig, das ist, wie du dir denken kannst, die Arznei, die auf Bodak am meisten gebraucht wird, häufiger brauche ich wohl nur ein Gebräu gegen einen Kater. Ich habe dich hierher eingeladen, weil ich mit dir reden wollte.«
Reynevan blickte sich um. Huons alchemistisches Instrumentarium gefiel ihm, auch die Sauberkeit und Ordnung, die nicht zuletzt das Auge erfreute. Ihm gefielen der Destillierapparat und der Atanor, ihm gefielen die in Reih und Glied aufgestellten und ordentlich mit Etiketten versehenen Flakons mit Filtraten und Elixieren. Aber am meisten entzückte ihn die Büchersammlung.
Auf dem Pult lag aufgeschlagen – und gewiss wurde fleißig darin gelesen – das
Necronomicon
des Abdul Alhazred. Reynevan erkannte es sofort, er hatte in Oels auch ein Exemplar davon. Daneben, auf dem Tisch, türmten sich andere ihm bekannte Grimuarien für Magier – das
Grand Grimoire,
die
Statuten des Papstes Honorius,
die
Clavicula Salomonis,
der
Liber Yog-Sothothis,
das
Lemegeton
und auch der
Liber Picatrix
– Scharley hatte sich erst kürzlich gerühmt, sie zu kennen. Es gab auch andere medizinische und philosophische Traktate, die er kannte: die
Ars parva
des Galen, den
Canon medicinae
des Avicenna, den
Liber medicinalis ad Almansorem
des Rhazes, das
Ekrabaddin
des Sabur ben Sahla, die
Anathomia
des Mondino de’ Luzzi, den
Sohar
der Kabbala,
De principiis
des Origines, die
Bekennnisse
des heiligen Augustinus, die
Summa theologiae
des Thomas von Aquin.
Dann gab es selbstverständlich auch die
opera magna
alchemistischen Wissens, den
Liber lucis mercuriorum
des Raimundus Lullus,
The mirror of alchemie
von Roger Bacon, das
Heptameron
des Pietro di Abano,
Le livre des figures hièroglyphiques
von Nicolas Flamel,
Azoth
von Basilius Valentinus, den
Liber de secretis naturae
des Arnold de Villanova. Es gab auch echte Raritäten: das
Grimorium Verum, De vermis mysteriis,
die
Theosophia pneumatica,
den
Liber lunae
– ja sogar den berühmten
Roten Drachen.
»Ich fühle mich geehrt«, er nippte ein wenig von dem Kirschgetränk, »dass der berühmte Huon von Sagar mit mir zu sprechen wünscht. Den ich überall vermutet hätte, aber nicht . . .«
»Aber nicht auf einem Raubritterschloss«, beendete Huonden Satz. »Was soll’s, das Fatum hat es so gewollt. Ich habe hier alles, was ich mag. Stille, Ruhe, Abgeschiedenheit. Die Inquisition hat mich sicher schon vergessen, gewiss hat mich auch der hochwürdige Gunther von Schwarzburg, der Erzbischof von Magdeburg, vergessen, der seinerzeit völlig versessen darauf war, mir entschieden mit dem Scheiterhaufen dafür zu danken, dass ich das Land von den Heuschrecken befreit hatte. Ich habe hier, wie du siehst, mein Arbeitszimmer, ich experimentiere ein bisschen, ich schreibe ein wenig . . . Manchmal begleite ich Buko bei seinen Raubzügen, um der frischen Luft und der Zerstreuung willen. Alles in allem . . .«
Der Magier seufzte tief.
»Alles in allem kann man leben. Nur . . .«
Reynevan bezwang höflich seine Neugierde, aber Huon von Sagar war offenbar in der Stimmung, sich ihm anzuvertrauen.
»Formosa«, er verzog den Mund, »wie sie ist, hast du ja selbst gesehen:
exsiccatum est faenum, cecidit flos.
Das Weib hat das fünfundfünfzigste Jahr erreicht, aber anstatt schwächer zu werden, zu ächzen und zu stöhnen und sich dem Tode zu nähern, verlangt die alte Stute den lieben langen Tag, gedeckt zu werden, morgens, abends, Tag und Nacht, auf jede erdenkliche Art und Weise. Ich mache mir Magen und Nieren mit Aphrodisiaka kaputt. Aber ich muss die Alte zufrieden stellen. Wenn ich im Bett nicht meinen Mann stehe und in Ungnade falle, wirft mich Buko hinaus.«
Reynevan verzichtete auch diesmal darauf, einen Kommentar abzugeben. Der Magier sah ihn scharf an.
»Buko Krossig«, fuhr er fort, »hat vorläufig noch Respekt vor mir, aber es wäre unvernünftig, ihn zu unterschätzen. Er
Weitere Kostenlose Bücher