Narrenturm - Roman
dass du sie so abschätzend betrachtest?«
»Sei still, ich betrachte sie, weil ich sie betrachten will. Und wenn ich was finde, worüber ich mich wundern muss, dann wundere ich mich. Zum Beispiel, dass das keine ganz Junge mehr ist, die ist ja schon fast achtzehn. Warum hat man sie dann wohl noch nicht verheiratet? Vielleicht hat sie einen Makel?«
»Was gehen mich ihre Fehler an? Soll ich sie etwa heiraten, oder was?«
»Die Idee ist gar nicht schlecht.« Huon von Sagar blickte über den Rand seines Bechers. »Heirate sie, Buko.
Raptus puellae
ist ein viel geringeres Vergehen als Raub um Lösegeld. Vielleicht vergibt und verzeiht dir der Herr auf Stolz, wenn du ihm zusammen mit deiner Braut zu Füßen sinkst. Dann wird er den Schwiegersohn schon in seine Kreise aufnehmen.«
»Na, Jungchen?« Formosa lächelte bösartig wie eine alte Hexe. »Was sagst du dazu?«
Buko musterte erst sie, dann den Magier, seine Augen waren kalt und böse. Er schwieg lange und ließ die Finger über seinen Kelch gleiten. Dessen Form verriet seine Herkunft, auch die am Rand eingravierten Szenen aus dem Leben des heiligen Adalbert ließen keinen Zweifel daran. Das war ein Messkelch, der mit Sicherheit aus dem zu Pfingsten verübten Überfall auf den Kustos des Glogauer Kollegiatstiftes stammte.
»Gerne würde ich dazu sagen, gleichfalls, Herr von Sagar, heiratet Ihr sie doch. Aber Ihr dürft ja nicht, weil Ihr ein Priester seid. Es sei denn, der Teufel, dem Ihr dient, entließe Euch aus dem Zölibat.«
»Ich kann sie ja heiraten«, erklärte plötzlich Paszko Rymbaba, das Gesicht vom Wein gerötet. »Sie kommt mir gerade recht.«
Tassilo und Wittram lachten, Woldan grölte. Notker Weyrach blieb ernst. Zum Schein.
»Aber ja doch«, sagte er spöttisch, »heirate sie, Paszko. Es ist gut, mit den Bibersteins verwandt zu sein.«
»Was denn«, stotterte Paszko, »bin ich vielleicht schlechter als die? Ein Habenichts? Ein armer Schlucker? Rymbaba
sum
! Pakoslaws Sohn und Pakoslaws Enkel! Als wir in Großpolen und in Schlesien schon die Herren waren, haben die Bibersteins in der Lausitz noch bei den Bibern im Schlamm gehockt, Bäume abgenagt und kein menschliches Wort hervorgebracht. Pfui, ich heirate sie und damit basta!, man lebt nur einmal. Man muss nur jemanden zu Pferd zu meinem Vater schicken. Ohne väterlichen Segen geht es nicht.«
»Wir haben sogar jemanden hier«, spottete Weyrach weiter, »der euch verheiraten kann. Ich hörte, dass Herr von Sagar ein Geistlicher ist. Der kann die Trauung gleich vornehmen, stimmt’s?«
Der Magier würdigte ihn keines Blickes, schien nur an seiner westfälischen Wurst interessiert.
»Es schickte sich wohl«, antwortete er endlich, »zunächst die Hauptbetroffene zu fragen.
Matrimonium inter invitos non
contrahitur,
die Eheschließung verlangt das Einverständnis beider Brautleute.«
»Die ›Braut‹ schweigt«, lachte Weyrach, »und
qui tacet, consentit,
wer schweigt, ist einverstanden. Und die anderen können wir ja fragen, warum nicht. Holla, Tassilo, hast du keine Lust zu heiraten? Vielleicht du, Kuno? Woldan? Und du, Herr Scharley, warum bist du so still? Wenn schon alle, denn schon alle! Wer hat noch Lust, verzeiht den Ausdruck, ein ›Bräutigam‹ zu werden?«
»Ihr selbst vielleicht?« Formosa von Krossig beugte sich vor. »Was? Herr Notker? Für Euch ist es höchste Zeit, wie ich denke. Wollt Ihr sie nicht zur Frau? Gefällt sie Euch nicht?«
»Sie gefällt mir schon, und wie.« Der Raubritter lächelte anzüglich. »Aber die Ehe ist das Grab der Liebe. Deshalb bin ich dafür, sie ganz einfach, und zwar gemeinsam, durchzuvögeln.«
»Ich sehe schon«, Formosa stand auf, »es wird Zeit für die Frauen, den Tisch zu verlassen, um die Männer bei ihren Witzen und Zoten nicht zu stören. Komm, Mädchen, du hast hier nichts verloren.«
Nicoletta stand gehorsam auf, sie folgte ihr, als sei sie auf dem Weg zu ihrer Hinrichtung, nach vorne gebeugt, den Kopf tief gesenkt, ihre Lippen zitterten, ihre Augen waren feucht.
Das war alles nur Schein, dachte Reynevan, während er unter dem Tisch die Fäuste ballte. Ihre ganze Kühnheit, ihre ganze Kraft, ihre Resolutheit, alles war nur Schein, alles nur gespielt. Wie schwach, zerbrechlich und kümmerlich ist doch dies Geschlecht, wie sehr auf uns, die Männer, angewiesen. Wie sehr durch uns bedingt. Um nicht zu sagen – abhängig.
»Huon«, rief Formosa von der Tür her, »lass nicht zu lange auf dich warten.«
»Ich gehe auch
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