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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ist ein Flegel, gewiss, aber in seiner Bösartigkeit oft so tatkräftig und einfallsreich, dass es einem kalt den Rücken hinunterläuft. Jetzt, in der Angelegenheit mit der Tochter von Biberstein, wird er auch wieder mit etwas Heimtückischem aufwarten, davon bin ich überzeugt. Daher habe ich beschlossen, dir zu helfen.«
    »Ihr mir, warum?«
    »Warum, warum? Weil es mir nicht recht sein kann, wenn Johann Biberstein hier mit einer Belagerung anfängt und die Inquisition meinen Namen aus den Archiven hervorkramt. Weil ich von deinem Bruder, Peter von Bielau, nur Gutes gehört habe. Weil mir die Fledermäuse nicht gefallen haben, die jemand im Zisterzienserwald auf dich und deine Gefährten gehetzt hat.
Tandem,
weil
Toledo alma mater nostra est,
und ich nicht will, dass du ein schlimmes Ende nimmst, mein Confrater in der Gefangenschaft. Und es kann böse enden mit dir. Dich verbindet etwas mit der Tochter von Biberstein, das kannst du nicht verhehlen, ich weiß nicht, ob es eine lange währende Leidenschaft oder Liebe auf den ersten Blick ist, aber ich weiß,
amantes amentes.
Unterwegs warst du nahe daran, sie zu dir aufs Pferd zu heben und mit ihr davonzugaloppieren, ihr wäret beide im Schwarzen Wald umgekommen. Auch jetzt, wo alles noch viel schwieriger ist, bist du bereit, sie zu umfassen und mit ihr von der Mauer herabzuspringen. Irre ich mich sehr?«
    »Nicht sehr.«
    »Ich habe es ja gleich gesagt«, der Magier lächelte melancholisch,
amantes amentes.
»Ja, ja, das Leben ist wahrhaftig ein Narrenturm. Nebenbei bemerkt, weißt du, was für ein Tag heute ist? Oder besser, was für eine Nacht?«
    »Nicht ganz. Mir sind die Tage ein wenig durcheinander geraten . . .«
    »Es geht weniger um das genaue Datum, auch Kalender irren. Wichtiger ist, dass heute die Tagundnachtgleiche des Herbstes ist.
Aequinoctium autumnalis.
«
    Er stand auf und zog unter dem Tisch ein Eichenbänkchen hervor, ungefähr zwei Ellen lang und etwas mehr als eine Elle hoch. Er stellte es neben die Tür. Aus einer Kommode nahm er ein Tontöpfchen, das mit Kalbsleder verschlossen und mit einem Etikett versehen war.
    »In diesem Gefäß«, er zeigte darauf, »bewahre ich eine ganz spezielle Salbe auf. Sie ist nach klassischer Rezeptur gemischt.Das
recipe
habe ich, wie du siehst, hier auf das Kärtchen geschrieben.
Solanum dulcamara, solanum niger,
Sturmhut, Fingerkraut, Pappelblätter, Fledermausblut, Schierling, roter Mohn, Portulak, wilder Sellerie . . . Das Einzige, was ich verändert habe, ist das Fett. Das im
Grimorium Verum
empfohlene ausgelassene Fett eines ungetauften Kindes habe ich durch Sonnenblumenöl ersetzt. Billiger und länger haltbar.«
    »Ist das . . .«, Reynevan schluckte, »ist es das, was ich denke?«
    »Die Tür zu meinem Arbeitszimmer verschließe ich nie«, sagte der Magier und tat, als hätte er die Frage nicht gehört, »und das Fenster hat keine Gitter, wie du siehst. Ich stelle die Salbe hier auf den Tisch. Wie man sie anwendet, weißt du sicher. Ich rate, sie sparsam aufzutragen, sie zeigt Nebenwirkungen.«
    »Aber, ist das denn überhaupt . . . sicher?«
    »Nichts ist sicher.« Huon von Sagar zuckte mit den Schultern. »Nichts. Alles ist Theorie. Aber, wie einer meiner Bekannten zu sagen pflegt:
Grau, teurer Freund, ist alle Theorie.
«
    »Aber ich . . .«
    »Reinmar«, unterbrach ihn der Magier ungerührt, »nimm ein bisschen Rücksicht auf mich. Ich habe dir alles gesagt und dir offenbart, dass man mich schnell der Beihilfe verdächtigen kann. Verlange nicht mehr von mir. So, es ist Zeit für uns. Wir nehmen das
unguentum
aus Kampfer, um die schmerzenden Stellen unserer lädierten Räuber einzuschmieren. Wir nehmen auch einen Extrakt von
papaver somniferum . . .
Das lindert den Schmerz und schläfert ein . . . Der Schlaf heilt und pflegt, und darüber hinaus, wie heißt es so schön:
qui dormit, non peccat,
wer schläft, sündigt nicht. Und stört nicht . . . Hilf mir, Reinmar.«
    Reynevan stand auf, ungeschickt, wie er war, stieß er dabei an den Bücherstoß an und griff schnell danach, um die Bücher vor dem Herunterfallen zu bewahren. Er legte das Buch, das obenauf lag, wieder richtig hin, dessen mehr als langen Titel er als
Bernardi Silvestri libri duo; quibus tituli Megacosmos et Microcosmos . . .
identifizierte. Mehr konnte Reynevan nichtlesen, denn sein Blick blieb an der Inkunabel hängen, die darunter lag, an den Worten, aus denen sich der Titel zusammensetzte. Er wusste plötzlich, dass er diese Worte

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