Narziss Und Goldmund
stellte manche Fragen, unterbrach nie und hörte auch jenen Teil der Beichte gleichgültig an, in dem Goldmund das Hinschwinden seines Glaubens an Gottes Gerechtigkeit und Gute bekannte. Er war ergriffen von manchen Bekenntnissen des Beichtenden, er sah, wieviel er geschüttelt und erschreckt worden war und wie nah er zuweilen am Untergang gewesen war. Dann wieder mußte er lächeln und war gerührt von des Freundes unschuldig gebliebener Kindlichkeit, denn er fand ihn besorgt und reuig wegen unfrommer Gedanken, die im Vergleich mit seinen eigenen Zweifeln und Denkabgründen harmlos waren.
Zu Goldmunds Verwunderung, ja Enttäuschung, nahm
der Beichtvater seine eigentlichen Sünden nicht allzu schwer, mahnte und strafte ihn aber ohne Schonung wegen seiner Vernachlässigung des Betens, Beichtens und Kommunizierens. Er legte ihm die Buße auf, vor dem Empfang der Kommunion vier Wochen mäßig und keusch zu leben, jeden Morgen die erste Frühmesse zu hören und jeden Abend drei Vaterunser und einen Marienhymnus zu sprechen.
Nachher sagte er zu ihm »Ich ermahne und bitte dich, diese Buße nicht leicht zu nehmen. Ich weiß nicht, ob du den Text der Messe noch genau kennst. Du sollst ihn Wort für Wort verfolgen und dich seinem Sinn hingeben. Das Vaterunser und einige Hymnen werde ich noch heute selbst mit dir sprechen und dir Anweisungen geben, auf 303
welche Worte und Bedeutsamkeiten du ganz besonders deine Aufmerksamkeit zu richten hast. Du sollst die heiligen Worte nicht sprechen und anhören, wie man
Menschenworte spricht und anhört. So oft du dich darauf ertappst, daß du die Worte nur herunterleierst, und das wird öfter geschehen, als du glaubst, dann sollst du dich an diese Stunde und an meine Ermahnung erinnern, sollst von vorn beginnen und die Worte so sprechen und so in dein Herz einlassen, wie ich es dir zeigen werde.«
Ob es nun ein schöner Zufall war oder ob des Abtes See-lenkunde so weit reichte, es ergab sich aus dieser Beichte und Buße für Goldmund eine Zeit der Erfülltheit und des Friedens, die ihn tief beglückte. Inmitten seiner an Span-nungen, Sorgen und Befriedigungen reichen Arbeit fand er sich jeden Morgen und Abend durch die leichten, aber mit Gewissenhaftigkeit begangenen geistlichen Übungen von den Erregungen des Tages erlöst und mit seinem ganzen Wesen zurückbezogen auf eine höhere Ordnung, die ihn der gefährlichen Einsamkeit des Schöpfers entriß und ihn als Kind in ein Reich Gottes einbezog. Mußte er den Kampf um sein Werk durchaus als Einsamer bestehen und ihm alle Leidenschaft seiner Sinne und Seele geben, so führte ihn doch die Andachtsstunde immer wieder zur Unschuld zurück. Während der Arbeit oft vor Wut und Ungeduld rauchend oder bis zur Wollust verzückt, tauchte er in den frommen Übungen wie in einem tiefen kühlen Wasser unter, das den Hochmut der Begeisterung ebenso wie den Hochmut der Verzweiflung von ihm abwusch.
Es gelang nicht immer. Manchmal fand er am Abend
nach glühenden Arbeitsstunden die Ruhe und Sammlung nicht, einige Male vergaß er die Übungen, und mehrmals, wenn er sich um die Versenkung mühte, hinderte und quälte ihn der Gedanke, daß das Gebetsprechen am Ende eine kindische Bemühung um einen Gott sei, den es gar 304
nicht gebe oder der ihm doch nicht helfen könne Er klagte es dem Freunde.
»Fahre fort«, sagte Narziß, »du hast es versprochen und mußt es halten. Du hast nicht darüber nachzudenken, ob Gott dein Gebet hört oder ob es den Gott, den du dir vorstellen magst, überhaupt gebe. Du hast auch nicht darüber nachzudenken, ob deine Bemühungen kindisch seien. Im Vergleich mit dem, an den unsere Gebete sich wenden, ist all unser Tun kindisch. Du sollst dir diese törichten Kleinkindergedanken während der Übung ganz und gar verbieten. Du sollst dem Paternoster und dein Marienlied sprechen und sollst dich ihren Worten hingeben und dich mit ihnen erfüllen, so, wie du etwa beim Singen oder Lautespielen auch nicht irgendwelchen klugen Gedanken und Spekulationen nachjagst, sondern einen Ton und einen Fingergriff um den andern so rein und vollkommen wie möglich ausführst. Wahrend man singt, denkt man nicht darüber nach, ob das Singen etwa nützlich sei oder nicht, sondern man singt. Ebenso sollst du beten.«
Und wieder gelang es. Wieder erlosch sein gespanntes und begieriges Ich in der weitgewölbten Ordnung, wieder zogen die ehrwürdigen Worte über ihn hinweg und durch ihn hindurch wie Sterne.
Mit großer Befriedigung sah der
Weitere Kostenlose Bücher