Narziss Und Goldmund
ihm gezehrt haben, dann aber hatte die Pestzeit mit ihren vielen Schrecken und zuletzt seine Gefangenschaft beim Grafen und jene grausige Nacht im
Schloßkeller ihn bis ins tiefste erschüttert, und es blieb davon dies und jenes zurück: graue Haare im blonden Bart, dünne Falten im Gesicht, Zeiten mit schlechtem Schlaf und zuweilen innen im Herzen eine gewisse Ermü-
dung, ein Erschlaffen der Lust und Neugierde, ein graues 300
laues Gefühl von Genughaben und Sattsein. Beim Vorbe-reiten seiner Arbeit, in den Gesprächen mit Erich, in den Hantierungen beim Schmied und Zimmermann taute er auf, wurde lebhaft und jung, alle bewunderten ihn und hatten ihn gern, aber dazwischen saß er nicht selten halbe und ganze Stunden müde, lächelnd und träumerisch, einer Apathie und Gleichgültigkeit hingegeben.
Sehr wichtig war ihm die Frage, wo er denn mit seiner Arbeit beginnen solle. Das erste Werk, das er hier machen und mit dem er die Gastfreundschaft des Klosters heim-zahlen wollte, sollte kein zufälliges sein, das man irgendwo zur Neugierde aufstellt, sondern es sollte gleich den alten Werken des Hauses ganz zum Bau und zum Leben des
Klosters gehören und ein Teil von ihm werden. Am liebsten hätte er einen Altar gemacht oder auch eine Kanzel, für beides aber war kein Bedürfnis und Raum. Dafür fand er etwas anderes. Im Refektorium der Patres gab es eine er-höhte Nische, in der während der Mahlzeiten stets ein junger Bruder die Legende vorlas. Diese Nische war ohne Schmuck. Goldmund beschloß, den Aufgang zum Lesepult und dieses selbst mit einer hölzernen Schmuck-verkleidung zu versehen, der einer Kanzel ähnlich, mit halb erhabenen und einigen beinah freistehenden Figuren. Er teilte den Plan dem Abte mit, der ihn lobte und willkommen hieß.
Als nun endlich die Arbeit beginnen konnte – es lag Schnee, und Weihnachten war schon vorüber –, nahm Goldmunds Leben eine neue Gestalt an. Fürs Kloster war er wie verschwunden, niemand sah ihn mehr, er wartete nicht mehr am Ende der Schulstunden auf die Schüler-schar, strich nicht mehr im Walde herum, wandelte nicht mehr im Kreuzgang. Die Mahlzeiten nahm er jetzt beim Müller – es war nicht mehr der, den er als Schüler einst viel besucht hatte. Und in seine Werkstatt ließ er keinen Men-301
schen eintreten als seinen Gehilfen Erich, auch dieser bekam an manchen Tagen kein Wort von ihm zu hören.
Für sein erstes Werk, die Vorleserempore, hatte er in langem Sinnen diesen Plan aufgestellt von den beiden Teilen, aus denen das Werk bestand, sollte der eine die Welt, der andere das göttliche Wort darstellen. Der untere Teil, die Treppe, aus einem starken Eichenstamm hervor-wachsend und sich um ihn drehend, sollte die Schöpfung darstellen, Bilder der Natur und des einfachen Lebens der Patriarchen. Der obere Teil, die Brüstung, würde die Bilder der vier Evangelisten tragen. Einem der Evangelisten wollte er die Gestalt des seligen Abtes Daniel geben, einem andern die des seligen Pater Martin, seines Nachfolgers, und in der Figur des Lukas wollte er seinen Meister Niklaus verewigen.
Er stieß auf große Schwierigkeiten, auf größere, als er gedacht hatte Sie machten ihm Sorgen, aber es waren süße Sorgen, er warb um das Werk entzückt und verzweifelt wie um eine spröde Frau, er kämpfte mit ihm erbittert und zart, wie ein Angler mit einem großen Hecht kämpft, jeder Widerstand belehrte ihn und machte ihn feinfühliger. Er vergaß alles andere, er vergaß das Kloster, vergaß beinahe Narziß. Dieser fand sich einige Male ein, bekam aber nichts zu sehen als Zeichnungen.
Dafür überraschte ihn eines Tages Goldmund mit der Bitte, ihm Beichte zu hören.
»Ich konnte mich bisher nicht dazu bringen«, gestand er, »ich kam mir zu gering vor, ich fühlte mich vor dir schon gerade genug gedemütigt. Jetzt ist mir wohler, ich habe jetzt meine Arbeit und bin kein Nichts mehr. Und da ich nun schon einmal in einem Kloster mitlebe, möchte ich mich der Ordnung fügen.«
Er fühlte sich der Stunde jetzt gewachsen und wollte nicht länger damit warten. Und in dem beschaulichen Le-302
ben der ersten Wochen, in der Hingabe an all das Wiedersehen und Jugendgedenken und auch in den Erzählungen, um die ihn Erich bat, war der Rückblick auf sein Leben in eine gewisse Ordnung und Klarheit gerückt.
Narziß empfing ihn ohne Feierlichkeit zur Beichte Sie dauerte gegen zwei Stunden. Mit unbewegtem Gesicht hörte der Abt die Abenteuer, Leiden und Sünden seines Freundes an,
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