Narziss Und Goldmund
sein wird. Es wird dann fortgebracht und aufgestellt, und man sagt mir einige Lob-sprüche, und dann kehre ich in eine nackte leere Werkstatt zurück, betrübt über alles das, was in meinem Werk mir nicht gelungen ist und was ihr andern gar nicht sehen könnt, und bin im Innern so leer und beraubt, wie die Werkstatt es ist.«
»Das mag so sein«, sagte Narziß, »und keiner von uns kann den andern dann ganz verstehen. Gemeinsam aber ist allen Menschen, die des guten Willens sind, dieses daß 310
unsere Werke uns am Ende beschämen, daß wir immer wieder von vorn beginnen müssen, daß das Opfer immer neu gebracht werden muß.«
Einige Wochen später war Goldmunds große Arbeit fertig und aufgestellt. Es wiederholte sich, was er schon längst erlebt hatte: sein Werk ging in den Besitz der andern über, ward betrachtet, beurteilt, gelobt, man rühmte ihn und erwies ihm Ehre, sein Herz aber und seine Werkstatt standen leer, und er Arbeit, um desto eher frei zu werden. Und wie ihm aus dem Holz die Gestalt Lydias allmählich entgegenkam, wie er von ihren edlen Knien die strengen Kleid-falten niederstreben ließ, entzückte ihn eine innige und schmerzliche Freude, eine wehmütige Verliebtheit in das Bild, in die schöne scheue Mädchenfigur, in die Erinnerung an damals, an seine erste Liebe, an seine ersten Reisen, an seine Jugend. Andächtig arbeitete er an dem zarten Bilde, fühlte es eins mit dem Besten in sich, mit seiner Jugend, mit seinen zärtlichsten Erinnerungen. Es war ein Gluck, ihren geneigten Hals zu bilden, ihren freundlich-traurigen Mund, ihre vornehmen Hände, die langen Finger, die schön gewölbten Kuppen der Fingernägel. Mit Bewunderung und ehrfürchtiger Verliebtheit betrachtete auch Erich die Figur, so oft er konnte.
Als sie nahezu fertig war, zeigte er sie dem Abt Narziß sagte: »Das ist dein schönstes Werk, Lieber, wir haben nichts im ganzen Kloster, was ihm gleichkommt. Ich muß dir gestehen, daß ich in diesen letzten Monaten einige Male um dich in Sorgen gewesen bin. Ich sah dich unruhig und leidend, und wenn du verschwandest und länger als einen Tag ausbliebest, dachte ich manchmal mit Sorge: vielleicht kommt er nicht wieder. Und nun hast du diese wundervolle Figur gemacht!
Ich bin froh über dich und bin stolz auf dich!«
»Ja«, sagte Goldmund, »die Figur ist ganz gut geworden.
Aber nun höre mich, Narziß! Daß diese Figur gut gewor-311
den ist, dazu war meine ganze Jugend nötig, meine Wanderschaft, meine Verliebtheit, mein Werben um viele Frauen. Das ist der Brunnen, aus dem ich geschöpft habe. Der Brunnen wird bald leer sein, es wird mir dürr im Herzen.
Ich werde diese Maria fertigmachen, dann aber werde ich für eine gute Weile Urlaub nehmen, ich weiß nicht, für wie lange, und werde meine Jugend und alles dies wieder aufsuchen, was mir einst so lieb gewesen ist. Kannst du es verstehen? – Nun ja. Du weißt, ich war dein Gast, und ich habe für meine Arbeit hier nie eine Bezahlung genommen.«
»Ich habe sie dir oft angeboten«, warf Narziß ein.
»Ja, und jetzt nehme ich sie an. Ich werde mir neue Kleider machen lassen, und wenn sie fertig sind, bitte ich dich um ein Pferd und um ein paar Taler Geld, dann reite ich in die Welt. Sage nichts, Narziß, und sei nicht betrübt. Es ist nicht, daß es mir hier nicht mehr gefallen würde, ich könn-te es nirgends besser haben. Es geht um anderes. Wirst du mir meinen Wunsch erfüllen?«
Es wurde wenig mehr darüber gesprochen. Goldmund
ließ sich ein einfaches Reiterkleid und Stiefel machen, und während der Sommer näher kam, machte er die Maria fertig, als sei es sein letztes Werk, mit liebender Behutsamkeit gab er den Händen, dem Gesicht, dem Haar die letzte Vollendung. Es konnte sogar so scheinen, als zögere er die Abreise hinaus, als lasse er sich recht gerne von diesen letzten zarten Arbeiten an der Figur immer wieder ein wenig aufhalten. Tag um Tag verging, und er hatte noch immer dies und jenes anzuordnen. Narziß, obwohl er den bevorste-henden Abschied schwer empfand, lächelte manchmal ein wenig über die Verliebtheit Goldmunds und sein Nicht-loskommenkönnen von der Marienfigur.
Dann aber überraschte ihn Goldmund doch eines Tages, indem er plötzlich kam, um sich zu verabschieden. Über Nacht hatte er seinen Entschluß gefaßt. Im neuen Kleide, 312
in einem neuen Barett, kam er zu Narziß, um Abschied zu nehmen. Er hatte schon vor einer Weile gebeichtet und kommuniziert. Jetzt kam er, um Lebewohl zu sagen und
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