Narziss Und Goldmund
begehen und ihre bitteren Folgen auf sich zu nehmen, statt abseits der Welt mit gewaschenen Händen ein sauberes Leben zu führen, sich einen schönen Gedankengarten voll Harmo-nie anzulegen und zwischen seinen behüteten Beeten sündelos zu wandeln Es war vielleicht schwerer, tapferer und edler, mit zerrissenen Schuhen durch die Wälder und auf den Landstraßen zu wandern, Sonne und Regen, Hunger und Not zu leiden, mit den Freuden der Sinne zu spielen und sie mit Leiden zu bezahlen.
Jedenfalls hatte Goldmund ihm gezeigt, daß ein zu Hohem bestimmter Mensch sehr weit in die blutige, trunkene Wirrsal des Lebens hinabtauchen und sich mit vielem Staub und Blut beschmutzen könne, ohne doch klein und gemein zu werden, ohne das Göttliche in sich zu töten, daß er durch tiefe Verdunkelungen irren könne, ohne daß im Heiligtum seiner Seele das göttliche Licht und die Schöp-315
ferkraft erlosch. Tief hatte Narziß in seines Freundes ver-worrenes Leben geblickt, und weder seine Liebe zu ihm noch seine Achtung für ihn war kleiner geworden. O nein, und seit er aus Goldmunds befleckten Händen diese wunderbar still-lebendigen, von innerer Form und Ordnung verklärten Gebilde hatte hervorgehen sehen, diese innigen, von Seele leuchtenden Gesichter, diese unschuldigen Pflanzen und Blumen, diese flehenden oder begnadeten Hände, all diese kühnen und sanften, stolzen oder heiligen Gebärden, seitdem wußte er wohl, daß in diesem unsteten Künstler- und Verführerherzen eine Fülle von Licht und Gottesgnade wohne.
Leicht hatte er es gehabt, in ihren Gesprächen dem Freund überlegen zu scheinen, dessen Leidenschaft seine Zucht und Gedankenordnung entgegenzusetzen. Aber war nicht jede kleine Gebärde einer Goldmundfigur, jedes Auge, jeder Mund, jede Ranke und Kleidfalte mehr, war wirklicher, lebendiger und unersetzlicher als alles, was ein Denker leisten konnte? Hatte dieser Künstler, dessen Herz so voll Widerstreit und Not war, nicht für unzählige Menschen, heutige und kommende, Sinnbilder ihrer Not und ihres Strebens aufgestellt, Gestalten, zu welchen Andacht und Ehrfurcht, Herzensangst und Sehnsucht Unzähliger sich wenden konnte, um in ihnen Trost, Bestätigung und Stärkung zu finden?
Lächelnd und traurig erinnerte Narziß sich all der Szenen seit früher Jugend, in denen er seinen Freund geführt und belehrt hatte. Dankbar hatte der Freund es angenommen, hatte immer wieder seine Überlegenheit und Führerschaft gelten lassen. Und dann hatte er in aller Stille die aus dem Sturm und Leid seines gepeitschten Lebens gebo-renen Werke hingestellt: keine Worte, keine Lehren, keine Aufklärungen, keine Ermahnungen, sondern echtes, er-höhtes Leben. Wie arm war er selbst dagegen mit seinem 316
Wissen, seiner Klosterzucht, seiner Dialektik?
Dies waren die Fragen, um welche seine Gedanken
kreisten. So wie er vor vielen Jahren einst erschütternd und mahnend in Goldmunds Jugend eingegriffen und sein Leben in einen neuen Raum gestellt hatte, so hatte seit seiner Rückkehr der Freund ihm zu schaffen gemacht, ihn erschüttert, ihn zu Zweifel und Selbstprüfung gezwungen.
Er war ihm ebenbürtig, nichts hatte Narziß ihm gegeben, das er nicht vielfach wiederbekommen hatte.
Der davongerittene Freund ließ ihm Zeit zu seinen Gedanken. Die Wochen vergingen, längst hatte der Kastanienbaum geblüht, längst war das milchig hellgrüne
Buchenlaub dunkel, fest und hart geworden, längst hatten die Storche auf dem Torturm gebrütet, hatten Junge und hatten sie fliegen gelehrt. Je länger Goldmund ausblieb, desto mehr sah Narziß, was er an ihm gehabt hatte. Er hatte einige gelehrte Patres im Hause, einen Kenner des Plato, einen vorzüglichen Grammatiker, einen oder zwei subtile Theologen. Er hatte unter den Mönchen einige treue, redliche Seelen, denen es Ernst war. Aber er hatte keinen seinesgleichen, keinen, an dem er sich ernstlich messen konnte. Dies Unersetzliche hatte nur Goldmund ihm gegeben. Es nun wieder entbehren zu müssen, fiel ihm schwer.
Mit Sehnsucht dachte er an den Entfernten.
Oft ging er in die Werkstatt hinüber, ermunterte den Gehilfen Erich, der am Altar weiterarbeitete und sehr nach der Rückkehr seines Meisters bangte. Manchmal schloß der Abt Goldmunds Kammer auf, wo die Maria stand, hob vorsichtig das Tuch von der Figur und verweilte bei ihr. Er wußte nichts von ihrer Herkunft, Goldmund hatte ihm die Geschichte Lydias nie erzählt. Aber er fühlte alles, er sah, daß diese Mädchengestalt lange in seines
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