Narziss Und Goldmund
Entscheidung gekommen.«
»Ist dein Vater da oder Botschaft von ihm?« »Nein, nichts. Das Leben selber ist zu mir gekommen. Ich gehe fort, ohne Vater, ohne Erlaubnis. Ich mache dir Schande, du, ich laufe fort.«
Narziß blickte auf seine langen weißen Finger nieder, dünn undgespenstisch kamen sie aus den weiten Kutten-
ärmeln hervor. Nicht in seinem strengen, arg ermüdeten Gesicht, aber in seiner Stimme war ein Lächeln zu spüren, als er sagte: »Wir haben sehr wenig Zeit, Lieber. Sage nur das Notwendige, and sage es deutlich und kurz. – Oder muß ich es dir sagen, was mit dir geschehen ist?«
»Sage es«, bat Goldmund.
»Du bist verliebt, kleiner Junge, du hast ein Weib kennengelernt.«
»Wie kannst du nun das wieder wissen!«
»Du machst es mir leicht. Dein Zustand, o amice, trägt alle Kennzeichen jener Art von Trunkenheit, die man Verliebtheit nennt. Nun sprich aber, bitte.«
Schüchtern legte Goldmund seine Hand auf des Freundes Schulter.
»Nun hast du es schon gesagt. Aber du hast es diesmal nicht gut gesagt, Narziß, nicht richtig. Es ist ganz anders.
Ich war auf den Feldern draußen und schlief in der Hitze ein, und als ich aufwachte, lag mein Kopf auf den Knien einer schönen Frau, und ich fühlte sogleich, daß jetzt meine Mutter gekommen sei, um mich zu sich zu holen. Nicht, daß ich diese Frau für meine Mutter hielte, sie hatte dunkle braune Augen und schwarzes Haar, und meine Mutter war blond wie ich, sie sah ganz anders aus. Aber doch war sie 82
es, war es ihr Ruf, war eine Botschaft von ihr. Wie aus den Träumen meines eigenen Herzens heraus war da plötzlich eine schöne fremde Frau gekommen, die hielt meinen Kopf in ihrem Schoß, und sie lächelte mich an wie eine Blume und war lieb mit mir, gleich bei ihrem ersten Kuß fühlte ich es in mir schmelzen und auf eine wunderbare Art weh tun. Alle Sehnsucht, die ich je gespürt, aller Traum, alle süße Angst, alles Geheimnis, das in mir geschlafen, wurde wach, alles war verwandelt, verzaubert, alles hatte Sinn bekommen. Sie hat mich gelehrt, was eine Frau ist und welches Geheimnis sie hat. Sie hat mich in einer halben Stunde um viele Jahre älter gemacht. Ich weiß jetzt vieles. Auch das wußte ich ganz plötzlich, daß jetzt meines Bleibens in diesem Hause nicht mehr sei, keinen einzigen Tag mehr. Ich gehe, sobald es Nacht ist.«
Narziß hörte zu und nickte.
»Es ist plötzlich gekommen«, sagte er, »aber es ist etwa das, was ich erwartet hatte. Ich werde viel an dich denken.
Du wirst mir fehlen, amice. Kann ich etwas für dich tun?«
»Wenn es dir möglich ist, so sage unserm Abt ein Wort, daß er mich nicht völlig verdammt. Er ist der einzige außer dir im Hause, dessen Gedanken über mich mir nicht gleichgültig sind. Er und du.«
»Ich weiß ... Hast du sonst ein Anliegen?«
»Eine Bitte, ja. Wenn du später an mich denkst, dann bete einmal für mich! Und ... ich danke dir.«
»Wofür, Goldmund?«
»Für deine Freundschaft, für deine Geduld, für alles.
Auch dafür, daß du mich heute anhörst, wo es doch schwer für dich ist. Auch dafür, daß du nicht versucht hast, mich zurückzuhalten.«
»Wie sollte ich dich zurückhalten wollen? Du weißt, wie ich darüber denke. – Aber wohin wirst du wohl gehen, Goldmund? Hast du denn ein Ziel? Gehst du zu jener Frau?«
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»Ich gehe mit ihr, ja. Ein Ziel habe ich nicht. Sie ist eine Fremde, eine Heimatlose, so scheint es, vielleicht eine Zigeunerin.«
»Nun ja. Aber sag, mein Lieber, weißt du, daß dein Weg mit ihr vielleicht sehr kurz sein wird? Du solltest dich nicht zu sehr auf sie verlassen, glaube ich. Sie wird vielleicht Verwandte haben, vielleicht einen Mann; wer weiß, wie man dich dort aufnehmen wird.«
Goldmund lehnte sich an den Freund.
»Ich weiß das«, sagte er, »obwohl ich bisher noch nicht daran gedacht hatte. Ich sagte dir schon: ein Ziel habe ich nicht. Auch jene Frau, die so sehr lieb mit mir war, ist nicht mein Ziel. Ich gehe zu ihr, aber ich gehe nicht ihretwegen.
Ich gehe, weil ich muß, weil es mich ruft.«
Er schwieg und seufzte, und sie saßen, aneinanderge-lehnt, traurig und doch glücklich im Gefühl ihrer unzerstörbaren Freundschaft. Dann fuhr Goldmund fort: »Du mußt nicht glauben, daß ich ganz blind und ahnungslos bin. Nein. Ich gehe gerne, weil ich fühle, daß es sein muß, und weil ich heut etwas so Wunderbares erlebt habe. Aber ich denke mir nicht, daß ich in lauter Glück und Vergnü-
gen hineinlaufe. Ich denke mir, der Weg
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