Narziss Und Goldmund
wird schwer sein.
Und doch wird er auch schön sein, hoffe ich. Es ist so sehr schön, einer Frau anzugehören, sich hinzugeben! Lache mich nicht aus, wenn es töricht klingt, was ich sage. Aber sieh: eine Frau zu lieben, ihr sich hinzugeben, sie ganz in sich einzuhüllen und sich von ihr eingehüllt fühlen, das ist nicht dasselbe was du Verliebtsein nennst und ein bißchen bespöttelst. Es ist nicht zu bespötteln. Es ist für mich der Weg zum Leben und der Weg zum Sinn des Lebens. – Ach, Narziß, ich muß dich verlassen! Ich liebe dich, Narziß, und ich danke dir, daß du mir heut ein bißchen Schlaf geopfert hast. Schwer fällt es mir, von dir fortzugehen. Wirst du mich nicht vergessen?«
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»Mach dir und mir das Herz nicht schwer! Ich vergesse dich niemals. Du wirst wiederkommen, ich bitte dich darum, ich erwarte es. Wenn es dir einmal schlecht geht, so komm zu mir oder rufe mich. – Leb wohl, Goldmund, Gott sei mit dir!«
Er hatte sich erhoben. Goldmund umarmte ihn. Da er seines Freundes Scheu vor Liebkosungen kannte, küßte er ihn nicht, er streichelte nur seine Hände,
Die Nacht brach ein, Narziß schloß die Zelle hinter sich und ging zur Kirche hinüber, seine Sandalen klappten auf den Steinfliesen. Goldmund folgte der hagern Gestalt mit liebenden Augen, bis sie am Ende des Ganges wie ein Schatten verschwand, von der Finsternis der Kirchen-pforte eingeschluckt, angesogen und eingefordert von Übungen, von Pflichten, von Tugenden. O wie wunderlich, wie unendlich seltsam und verwirrt war doch alles! Wie seltsam und erschreckend war auch dies gewesen: mit seinem überströmenden Herzen, mit seiner blühenden
Liebesberauschtheit zu seinem Freunde gerade in einer Stunde zu kommen, wo dieser meditierend, von Fasten und Wachen verzehrt, seine Jugend, sein Herz, seine Sinne ans Kreuz schlug und zum Opfer brachte und sich der strengsten Schule des Gehorsams unterzog, um nur dem Geiste zu dienen und ganz zum minister verbi divini zu werden! Da war er gelegen, todmüde und erloschen, mit dem bleichen Gesicht und den gemagerten Händen, wie ein Toter anzusehen, und war doch alsbald klar und freundlich auf den Freund eingegangen und hatte dem Verliebten, der noch nach einem Weibe duftete, sein Ohr geliehen und seine karge Ruhezeit zwischen zwei Bußü-
bungen geopfert! Wunderlich war es, und wunderbar schön war es, daß es auch diese Art von Liebe gab, diese selbstlose, ganz vergeistigte. Wie anders war sie als diese Liebe heut im sonnigen Feld, dies trunkene und rechen-85
schaftslose Spiel der Sinne! Und doch war beides Liebe.
Ach, und jetzt war Narziß ihm verschwunden, nachdem er ihm in dieser letzten Stunde nochmals so deutlich gezeigt hatte, wie ganz und gar verschieden und einander unähnlich sie waren. Narziß lag jetzt vor dem Altar auf müden Knien, vorbereitet und geläutert zu einer Nacht voll Gebet und Betrachtung, in der ihm nicht mehr als zwei Stunden Ruhe und Schlaf erlaubt waren, während er, Goldmund, davonlief, um irgendwo unter den Bäumen seine Lise zu finden und jene süßen tierischen Spiele mit ihr zu wiederholen! Narziß hätte Beachtenswertes darüber zu sagen gewußt. Nun: er, Goldmund, war nicht Narziß. Ihm lag es nicht ob, diese schönen und schauerlichen Rätsel und Verwirrungen zu ergründen und Wichtiges darüber zu sagen.
Ihm lag nichts ob, als seine Ungewissen, törichten Gold-mundwege weiterzugehen. Ihm lag nichts ob, als sich hinzugeben und zu lieben, den betenden Freund in der nächtlichen Kirche nicht minder als die schöne warme junge Frau, die auf ihn wartete.
Als er, das Herz von hundert streitenden Gefühlen erregt, unter den Hoflinden davonschlich und den Ausgang durch die Mühle suchte, mußte er dennoch lächeln, als er sich plötzlich jenes Abends erinnerte, an dem er einst mit Konrad auf diesem selben Schleichweg das Kloster verlassen hatte, um »ins Dorf« zu gehen. Wie erregt und heimlich furchtsam hatte er damals den kleinen verbotenen Ausflug angetreten, und heute ging er für immer, ging viel verbotenere und gefährlichere Wege, und hatte keine Furcht dabei, dachte nicht an Pförtner, an Abt und Lehrer.
Es lagen diesmal keine Bretter am Bach, er mußte ohne Brücke hinüber. Er zog das Gewand aus und warf es ans andere Ufer, dann ging er nackt durch den tiefen, stark strömenden Bach, bis an die Brust im kalten Wasser.
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Während er sich drüben wieder ankleidete, waren seine Gedanken wieder bei Narziß. Mit großer beschämender Klarheit sah er
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