Die Mauern des Universums - Melko, P: Mauern des Universums - The Walls of the Universe
1
Klappernd schlug die Haustür hinter John Rayburn zu. Eigentlich hatten sein Vater und er vorgehabt, die Scharniere noch vor dem Winter zu reparieren und die Tür neu zu streichen, aber in diesem Moment hätte er sie lieber herausgerissen und hinaus aufs Feld geschleudert.
»Johnny?«, rief seine Mutter ihm nach, doch da war John bereits im dunklen Schatten der Scheune verschwunden. Er schlich an der Rückseite entlang, und die weiteren Rufe seiner Mutter verloren sich im Zirpen der Grillen. Vor sich sah er seinen dampfenden Atem.
Als er den Rand des Kürbisfeldes erreicht hatte, blieb er einen Augenblick lang stehen und ging dann querfeldein los, Richtung Osten, auf das Case Institute of Technology zu, wo er nächstes Jahr mit dem Studium beginnen wollte. Was jedoch nicht gerade wahrscheinlich war. Doch er konnte später ja immer noch auf die Uni in Toledo gehen, wie sein Vater vorgeschlagen hatte – ein, zwei Jahre Arbeit würden reichen, um ein Studienjahr dort zu bezahlen.
John trat gegen einen halb verrotteten Kürbis, so dass die Kerne und faserigen Innereien durch die Luft segelten. Der Geruch nach feuchter Erde und verfaultem Kürbis erinnerte ihn daran, dass Halloween schon in einer Woche war und sie noch keine Zeit gehabt hatten, die Kürbisse zu ernten. Was für eine Verschwendung: tausend Dollar, die man den Regenwürmern zum Fraß vorgeworfen hatte. Er versuchte, nicht daran zu denken, wie viele Studieneinheiten man damit hätte bezahlen können.
Das Kürbisfeld reichte bis zum Waldrand, der östlichen Grenze der Farm. Hinter den alten Ulmen und Ahornbäumen lag die Gurney Road, dahinter der verlassene Steinbruch. Zwischen den Bäumen blieb John stehen und atmete tief durch, bis sich seine Wut gelegt hatte.
Schließlich hatten die Eltern keine Schuld an seiner Misere. Wenn jemand dafür verantwortlich war, dann nur er selbst. Es hatte ihn ja niemand gezwungen, Ted Carson windelweich zu prügeln und dann auch noch dessen Mutter zu beleidigen. Das hatte allein er zu verantworten. Obwohl Mrs. Carsons Gesichtsausdruck, als er ihren Sohn als Arschloch bezeichnet hatte, es beinahe wert gewesen war. Was für eine Scheiße!
Als hinter ihm ein Ast knackte, fuhr er herum. Eine Sekunde lang dachte er, Ted Carson könne ihm hierher gefolgt sein und mit seiner Mutter irgendwo im Wald auf ihn lauern. Doch die Gestalt, die vor ihm stand, war nur ein Jugendlicher mit einem abgebrochenen Zweig in der Hand.
»Johnny?«, sagte der Fremde. Er ließ den Zweig locker auf dem Boden schleifen.
Forschend blickte John in die Dunkelheit. Irgendein Junge, mehr konnte er nicht erkennen, und so trat er einen Schritt näher. Der Fremde trug Jeans und ein kariertes Hemd, darüber einen ärmellosen roten Mantel, der merkwürdig altertümlich wirkte. Er hatte rotblondes Haar und bräunliche Augen.
Johns Blick blieb auf dem Gesicht des Fremden hängen. Nein, es war kein Fremder: Der Jugendliche hatte sein eigenes Gesicht.
»Hey, Johnny! Erkennst du mich nicht? Ich bin’s. Johnny.«
Die Gestalt im Wald war er selbst.
»Was zum … Wer bist du?«, fragte John. Wie war das möglich? Was lief hier ab?
Der Fremde lächelte – Johns eigenes Lächeln. »Ich bin du, John.«
»Was? Was soll das hei…«
»Wer soll ich sonst sein? Sieh mich an.« Der Fremde hob die Arme, die Handflächen nach oben gestreckt, als wollte er friedliche Absichten signalisieren.
Für einen Moment wurde John schwindelig. »Ja, du siehst aus wie … wie …« Wie ich, hätte er fast gesagt. Wie ein Bruder. Oder ein Cousin. Eine Halluzination. Ein Trick.
»Ich sehe aus wie du, weil ich du bin.« John wich einen Schritt zurück, doch der Fremde sprach ungerührt weiter. »Ich weiß, was du jetzt denkst. Du denkst, es ist ein Trick. Irgendwer will den kleinen Farmer reinlegen. Pech gehabt, so ist es nicht. Beschleunigen wir die Sache ein wenig: Als Nächstes wirst du denken, dass wir Zwillinge sind und einer von uns zur Adoption freigegeben wurde. Auch falsch. Die Wahrheit ist viel spannender.«
Tatsächlich hatte John bereits daran gedacht, dass sie Zwillinge sein könnten. Aber ihm gefiel überhaupt nicht, wie der Fremde sich aufführte, was er sich alles herausnahm. Langsam verlor er die Geduld. »Na, dann erklär schon, was Sache ist!«
»Okay, okay, aber erst mal brauch ich was zu essen. Ich bin am Verhungern. Und ich muss mich unbedingt ein bisschen ausruhen. Dad ist vorhin ins Haus gegangen, oder? Vielleicht können wir ja in die Scheune
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