Narziss Und Goldmund
wohnte und ihm doch nicht ganz angehörte, das er einmal einzufangen und als Künstler darzustellen sehnlich begehrte, das sich ihm aber immer wieder entzog und verhüllte. Es war das Gesicht der Mutter. Dies Gesicht war schon seit langer Zeit nicht mehr dasselbe, wie es ihm einst, nach den Gesprächen mit Narziß, aus verlorenen Erinnerungstiefen wieder erschienen war. In den Tagen der Wanderung, in den Liebesnächten, in den Zeiten der Sehnsucht, den Zeiten der Lebensgefahr und Todesnähe hatte das Muttergesicht sich langsam verwandelt und bereichert, war tiefer und vielfältiger geworden, es war nicht mehr das Bild seiner eigenen Mutter, sondern aus dessen Zügen und Farben war nach und nach ein nicht mehr persönliches Mutterbild geworden, das Bild einer Eva, einer Menschenmutter. So wie Meister Niklaus in einigen Madonnen das Bild der schmerzlichen Gottesmutter mit einer Vollkommenheit und Stärke des Ausdrucks dargestellt hatte, welche Goldmund
unübertreffbar schien, so hoffte er selbst einst, wenn er reifer und des Könnens sicherer sei, das Bild der weltli-chen, der Eva-Mutter so zu gestalten, wie es als ältestes und geliebtestes Heiligtum in seinem Herzen stand. Aber dies innere Bild, einst nur Erinnerungsbild seiner eigenen Mutter und seiner Liebe zu ihr, war in beständigem Wandel und Wachstum begriffen. Es hatten die Züge der Zigeunerin Lise, die Züge der Ritterstochter Lydia und manche andere Frauengesichter Eingang in jenes ur-sprüngliche Bild gefunden, und nicht nur hatten alle Gesichter von geliebten Frauen an dem Bilde weiter-
geschaffen, es hatte auch jede Erschütterung, jede Erfahrung und jedes Erlebnis an ihm gebildet und ihm Züge mitgegeben. Denn diese Gestalt, wenn es ihm später einst gelänge, sie sichtbar zu machen, sollte ja nicht eine be-173
stimmte Frau darstellen, sondern das Leben selbst als Urmutter. Oft glaubte er es zu sehen, manchmal erschien es ihm im Traum. Aber er hatte über dies Evagesicht und über das, was es ausdrücken sollte, nichts sagen können, als daß es die Lebenswollust in ihrer innigen Verwandtschaft mit dem Schmerz und dem Tode zeigen sollte.
Im Laufe eines Jahres hatte Goldmund viel gelernt. Im Zeichnen war er schnell zu großer Sicherheit gekommen, und neben dem Holzschnitzen ließ ihn Niklaus gelegentlich auch das Modellieren in Ton versuchen. Sein erstes gelungenes Werk war eine Tonfigur, gut zwei Spannen hoch, es war die süße verführerische Gestalt der kleinen Julie, der Schwester Lydias. Der Meister lobte diese Arbeit, aber Goldmunds Wunsch, sie in Metall gießen zu lassen, erfüllte er nicht, ihm war die Figur zu unkeusch und weltlich, als daß er ihr hätte als Pate dienen mögen. Dann kam die Arbeit an der Figur des Narziß, Goldmund führte sie in Holz aus, und zwar als Jünger Johannes, denn Niklaus wollte sie, wenn sie gelänge, in eine Kreuzigungsgruppe stellen, die er in Auftrag hatte und an der die beiden Gehilfen seit langer Zeit ausschließlich arbeiteten, um die letzte Ausführung dann dem Meister zu überlassen.
An der Narzißfigur arbeitete Goldmund mit tiefer Liebe, in dieser Arbeit fand er sich selbst, seine Künstlerschaft und seine Seele wieder, sooft er aus dem Geleise gekommen war, und das geschah nicht selten. Liebschaften, Tanz-feste, Zechereien mit Kameraden, Würfelspiel und häufig auch Raufhändel rissen ihn heftig mit, daß er für einen oder mehrere Tage die Werkstatt mied oder verstört und verdrossen bei der Arbeit stand. An seinem Jünger Johannes aber, dessen geliebte sinnende Gestalt ihm immer reiner aus dem Holz entgegentrat, arbeitete er nur in den Stunden der Bereitschaft, mit Hingabe und Demut.
In diesen Stunden war er weder froh noch traurig, wußte 174
weder von Lebenslust noch von Vergänglichkeit, es kehrte ihm jenes ehrfürchtige, lichte und rein gestimmte Gefühl im Herzen wieder, mit dem er einst dem Freunde hingegeben und seiner Führung froh gewesen war. Nicht er war es, der da stand und aus eigenem Willen ein Bildnis schuf, vielmehr war es der andere, es war Narziß, der sich seiner Künstlerhande bediente, um aus der Vergänglichkeit und Veränderlichkeit des Lebens herauszutreten und das reine Bild seines Wesens darzustellen.
Auf diese Art, fühlte Goldmund manchmal mit einem Schauder, entstanden die echten Werke. So war des Meisters unvergeßliche Madonna entstanden, die er seitdem an manchem Sonntag im Kloster wieder aufgesucht hatte. So, auf diese geheimnisvolle und heilige Art, waren die
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