Narziss und Goldmund
war es, die die Pest bekam, sie lag todkrank, und ihr Vater pflegte sich an ihr zu Tode, er starb, noch eh sie ganz genesen war. Sie wurde gerettet, nur aber war ihre Schönheit dahin .
»Die Werkstatt steht leer«, sagte der Hausherr, »und für einen tüchtigen Bildschnitzer wäre da eine schöne Heimat bereit und Geld genug. Überleg dir das, Goldmund! Sie würde nicht nein sagen. Sie hat keine Wahl mehr.«
Er erfuhr auch dies und jenes andere aus der Pestzeit, daß der Pöbel zuerst ein Spital angezündet und später einige Häuser von Reichen erstürmt und geplündert habe, eine Weile sei keine Ordnung und Sicherheit mehr in der Stadt gewesen, da der Bischof geflohen sei. Da habe der Kaiser, der gerade in der Nä he war, einen Statthalter herge schickt, den Grafen Heinrich. Nun ja, es sei ein schneidiger Herr, er habe mit seinen paar Reitern und Soldaten Ordnung in der Stadt geschafft. Aber nun sei es wohl Zeit, daß sein Regiment aufhöre, man erwarte den Bischof zurück.
Der Graf habe der Bürgerschaft manches zugemutet, und auch von seiner Kebse habe man genug, der Agnes, die sei schon ein richtiger Teufelsbraten. Na, bald werden sie abziehen, der Gemeinderat habe es längst satt, statt seines guten Bischofs so einen Hof— und Kriegsmann auf dem Halse zu haben, der des Kaisers Günstling sei und beständig Gesandtschaften und Abordnungen empfange wie ein Fürst.
Nun wurde auch der Gast nach seinen Erlebnissen gefragt. »Ach«, sagte er traurig, »davon spricht man nicht. Ich bin gewandert und gewandert, und überall war die Seuche und lagen die Toten herum, und überall waren die Leute verrückt und böse vor Angst. Ich bin am Leben gebliebe n, vielleicht vergißt man das alles einmal wieder. Nun komme ich zurück, und mein Meister ist tot! Laßt mich ein paar Tage bleiben und ausruhen, dann geh ich weiter.«
Er blieb nicht des Ausruhens wegen. Er blieb, weil er enttäuscht und unentschlossen war, weil Erinnerungen an glücklichere Zeiten ihm die Stadt lieb machten und weil die Liebe der armen Marie ihm wohltat. Er konnte sie nicht erwidern, er konnte ihr nichts geben als Freundlichkeit und Mitleid, aber ihre stille, demütige Anbetung wärmte ihn doch. Mehr aber als alles dieses hielt ihn an diesem Ort das brennende Bedürfnis fest, einmal wieder Künstler zu sein, sei es auch ohne Werks tatt, sei es auch nur mit Notbe helfen.
Ein paar Tage lang tat Goldmund nichts anderes als zeichnen. Marie hatte ihm Papier und Feder verschafft, nun saß er in seiner Kammer und zeichnete Stunde um Stunde, füllte die großen Bogen bald mit eilig gekritzelten, bald mit liebevoll zarten Figuren, ließ das überfüllte Bilderbuch seines Innern hinüberwandern aufs Papier. Er zeichnete viele Male das Gesicht Lenes, wie es nach dem Tod jenes Landstreichers voll Befriedigung, Liebe und Mordlust gelächelt hatte, und das Gesicht Lenes, wie es in ihrer letzten Nacht geword en war, begriffen schon im Hin überschmelzen ins Formlose, in der Rückkehr zur Erde. Er zeichnete einen kleinen Bauernbuben, den er einst tot auf der Schwelle bei seinen Eltern hatte liegen sehen, mit geballten Fäustchen. Er zeichnete einen Karren voll Leichen, drei mühsam ziehende Klepper davor, Schinderknechte mit langen Stangen daneben, die Augen finster aus den Schlitzen schwarzer Pestmasken schielend. Er zeichnete immer wieder Rebekka, das schlanke schwarzäugige Judenkind, ihren schmalen stolzen Mund, ihr Gesicht voll Schmerz und voll Entrüstung, ihre holde junge Gestalt, die so sehr zur Liebe geschaffe n schien, ihren hochmütigen bitteren Mund. Er zeichnete sich selbst, als Wanderer, als Liebenden, als Flüchtling vor dem mähenden Tod, als Tänzer bei den Pestorgien der Lebenshungrigen. Hingegeben hing er überm weißen Papier, strich das hochmütige feste Gesicht der Jungfer Lisbeth hin, so wie er sie früher gekannt hatte, die Fratze der alten Magd Margrit, das geliebte und gefürchtete Gesicht des Meisters Niklaus. Mehrmals auch deutete er mit dünn en, ahnenden Strichen eine gro ße Frauengestalt an, die Erdenmutter, sitzend mit den Händen im Schoß, im Gesicht unter schwermütigen Augen, ein Hauch von Lächeln Unendlich wohl tat ihm dies Strömen, das Gefühl in der zeichnenden Hand, das Herrwerden über die Gesichte. Er zeichnete in wenigen Tagen alle die Bogen voll, die ihm Marie besorgt hatte. Vom letzten Bogen schnitt er ein Stuck ab und zeichnete darauf, mit sparsamen Strichen, das Gesicht Maries, mit den schönen Augen, mit dem
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